Debatte um die Bührle-Sammlung
Bührle-Sammlung verschenken?
Erschienen am 21. Januar 2022 im jüdischen Wochenmagazin «tachles» .
Seit Oktober hängen rund 200 Bilder aus der Sammlung von Emil Bührle im Neubau vom Kunsthaus Zürich. Die Leihgabe ist in der Kritik. Gefordert wird in Bezug auf die Bührle-Sammlung eine gezielte Provenienzforschung durch unabhängige, neutrale und international besetzte Experten und es wird kritisiert, dass diese Forschung bislang zu wenig unabhängig und daher nicht ausreichend gewesen sei. Die Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg forderte bereits im November 2021 von der Stadt und dem Kanton Zürich eine Weiterführung der historischen Forschung im Zusammenhang mit der Sammlung Bührle sowie eine Evaluation der durch die Stiftung geleisteten Provenienzforschung durch eine unabhängige und neutrale Expertenkommission. Mittlerweile ist auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) auf diesen Zug aufgesprungen. Er erwartet nun, dass nicht nur von den Nazis konfiszierte, sondern auch unter dem Druck durch die Naziverfolgung veräusserte Kunstwerke überprüft werden sollen. Nur so könnten für solche Kunstwerke faire und gerechte Lösungen gefunden werden.
«Es ist unumgänglich, dass die Stadt Zürich und ihr Kunsthaus die Herkunft der Kunstwerke der Sammlung Bührle transparent dokumentiert.»
Während aktuell Gespräche zwischen den Verantwortlichen stattfinden, wird das Thema innerhalb der jüdischen Bevölkerung der Schweiz diskutiert. Ausgelöst wurde dies auch durch den Entschluss der international renommierten Schweizer Künstlerin Miriam Cahn, ihre Bilder aus dem Kunsthaus Zürich abzuziehen. In tachles melden sich nun namhafte Schweizer Persönlichkeiten wie die Autorin Lea Gottheil zu Wort, die sagt: «Es ist unumgänglich, dass die Stadt Zürich und ihr Kunsthaus mittels einer unabhängigen Kommission die Herkunft der Kunstwerke der Sammlung Bührle ausfindig macht und sie transparent dokumentiert.» Denn für die Betroffenen der Geschichte und die nachfolgenden Generationen sei die Auseinandersetzung mit den düsteren Kapiteln äusserst wichtig, um mit Verwundungen einen Umgang zu finden und weitergehen zu können. Sie findet es «beschämend», dass sich das Kunsthaus derart schwer mit dieser Verantwortung tut, erkennt hingegen aber die Arbeit des SIG an: «Der SIG hat in diese Richtung bereits wichtige Schritte unternommen und erreicht, dass dieses Thema auf politischer Ebene Unterstützung erhält. Ich bin zuversichtlich, dass sich der Konflikt nun in eine Richtung bewegt, die zeigt, dass die Schweiz in der Lage ist, den Fokus auf ihre Geschichte zu richten und einen sorgfältigen Umgang mit ihr zu finden», so Lea Gottheil. Einen würdigen Erinnerungsort schaffen André Bollag, ehemaliger Co-Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ), blickt aufgrund der aktuellen Debatte einige Jahre zurück. Er erinnert daran, dass bereits in der Vergangenheit bei der Bührle-Sammlung immer wieder Fragen auftauchten.
So zum Beispiel im Jahr 2008, als das Bild «Mohnfeld bei Vétheuil» von Claude Monet vom Enkel des ehemaligen Eigentümers zurückgefordert wurde, weil die Veräusserung damals aufgrund der Flucht zu einem «verfolgungsbedingten Vermögensverlust» geführt hatte. Nach der Ansicht von André Bollag sei die jetzige Bemühung der Präsidenten vom SIG und der ICZ mit der Stadtpräsidentin Corine Mauch und dem Präsidium der Zürcher Kunstgesellschaft sicher zu begrüssen. Er fügt aber hinzu: «Sie darf aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass mit der leihweisen Übergabe der Bilder an das Kunsthaus Zürich, dessen Erweiterung von Stadt und Kanton stark subventioniert wurde sowie mit der Zustimmung der Stadtpräsidentin Corine Mauch und der für die Kultur zuständigen Regierungsrätin Jacqueline Fehr, der rechtlich historische Zustand der Bilder legitimiert und sozusagen mit dem Koscherstempel versehen wurde.» Auch wenn die Prüfung der Gemälde an die Leitung des Kunsthauses delegiert werde, hätten schlussendlich die beiden politischen Personen die moralische Verpflichtung, die letzte Verantwortung zu übernehmen, so Bollag, der mit den Worten schliesst: «Kurz gesagt wurde eine gute Gelegenheit verpasst, eine saubere Provenienzabklärung durchzuführen.»
«Das Kunsthaus, die Stadt Zürich und die Bührle-Stiftung sollen endlich über ihren Schatten springen.»
Die Präsidentin von Omanut, Karen Roth, ist der Ansicht, dass man im Neubau des Kunsthauses, das ja ein eigentliches Haus der Sammlungen ist, die Chance verpasst hat, über die Phänomenologie des Sammelns nachzudenken. Sie sagt: «Jüdische Sammler wie Max Silberberg, welcher das später in die Sammlung Bührle gelangte Gemälde ‹La Sultane› von Edouard Manet aufgrund der zunehmenden Entrechtung 1937 nicht mehr halten konnte, müssen für Emil Bührle Vorbilder gewesen sein. Genauso wie er und andere Sammler, die auf die Expertise von jüdischen Kunsthändlern wie unter anderem Fritz Nathan, Walter Feilchenfeldt, Paul Rosenberg und Toni Aktuaryus zurückgriffen.» Dass auch diese nicht davor gefeit gewesen seien, mit «NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern» zu handeln, kann man in Elisabeth Eggimann Gerbers Ausführungen zu Toni Aktuaryus nachlesen, der ein Gründungsmitglied von Omanut gewesen war (Elisabeth Eggimann Gerber: Jüdische Kunsthändler und Galeristen. Böhlau Verlag, Köln 2021). «Je mehr geforscht wird, desto komplexer wird das Thema, das im Dokumentationsraum im Chipperfield-Bau meiner Meinung nach bewusst nicht umfassend beleuchtet wird.» Sollten das Kunsthaus, die Stadt Zürich und die Bührle-Stiftung endlich über ihren Schatten springen und die nötige Transparenz schaffen, hätte Zürich endlich den «Erinnerungsort», der museologisch und wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit wäre, so Karen Roth. Erinnerung an den geschichtlichen Kontext wachhalten Der Historiker Jacques Picard gehörte der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (Bergier-Kommission) an. Er sagt: «Es wäre für die Beilegung des Streits um das Zürcher Kunsthaus ein enorm entlastender Schritt, wenn sich die Bührle-Stiftung aus freiem Entschluss dazu entschliessen könnte, ihre Sammlung als Donationen öffentlich mitgetragenen Museen und Kunsthäusern in Zürich und in der Schweiz zu schenken. Dies wäre die volle Erfüllung ihres Stiftungszwecks und gleichzeitig die Annahme einer neuen und würdigen Aufgabe, die darin bestehen könnte, den verpflichtenden Austausch zwischen den beschenkten Museen zu begleiten und die Erinnerung an den geschichtlichen Kontext wachzuhalten.»
«Wie sehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kunsthauses die Erforschung und Vermittlung der Bührle-Sammlung?»
Ein anderer Aspekt wird von der Leiterin des Jüdischen Museums der Schweiz, Naomi Lubrich, aufgegriffen. Sie merkt an, dass bereits vieles zur Bührle-Debatte gesagt, eine wichtige Frage aber noch nicht ausreichend diskutiert worden sei: «Wie sehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kunsthauses die Erforschung und Vermittlung der Bührle-Sammlung? Warum sind ihre Stimmen noch nicht gehört worden, schliesslich sind sie Experten in Fragen der Provenienz?», fragt Naomi Lubrich. Ihrer Meinung nach sollten Museen Diskussionen anregen, «aber gerade diejenigen, die am kompetentesten beitragen könnten, scheinen mir noch nicht ausreichend zu Wort gekommen zu sein.» Eine Kulturpolitik, die diesen Namen verdient Zu Wort gemeldet hat sich in einem Leserbrief an tachles hingegen Gaby Belz. Sie schreibt als Mitglied des Kunsthaus-Vereins (vgl. tachles 01/22): «Wir wollen uns weiterhin mit Freude und ohne Bedauern über fragwürdige Verträge mit ‹unserem› Kunsthaus identifizieren dürfen. Darum haben wir die Petition ‹Lückenlose Aufklärung Sammlung Bührle | ACT by Campax› eingerichtet und diese mit 254 Unterschriften dem Vizepräsidenten, Herrn Conrad M. Ulrich, überreicht. Wir wünschen uns – eine der Säulen des Kunsthaus-Vereins –, mit diesem Begehren ernst genommen zu werden, durchaus im Wissen, dass Mitglieder auch Rechte haben.» In der Petition an den Vorstand des Vereins Kunstfreunde Zürich heisst es klar: «Wir wünschen uns Kunstgenuss mit gutem Gewissen, eine Kulturpolitik, die diesen Namen verdient, und einen korrekten Umgang mit rechtmäs-sigen Erben/-innen von Raubkunst, statt dass wir uns mit solcher schmücken und uns beim Betrachten schämen müssen. In aller Klarheit: Wir fordern Sie auf, sich im Fall aller Kunstgegenstände mit ungeklärter oder nicht publizierter Provenienz mit aller Kraft zu bemühen, hier Versöhnungsarbeit zu leisten.»
«Dass das Kunsthaus nur versucht, sein Image zu retten, ist endlos schäbig.»
Daran, dass auf Forderungen wie die oben genannten tatsächlich eingegangen wird, glaubt der Schriftsteller Thomas Meyer kaum. Er sagt zur Debatte um die Sammlung Bührle: «Die Exponate, deren Herkunft nicht restlos geklärt ist, sollten entsprechend gekennzeichnet werden, ergänzt durch eine selbstkritische Schautafel zum Thema Raubkunst. Dass das Kunsthaus nicht selber auf diese Idee kommt, sondern nur versucht, sein Image zu retten, ist endlos schäbig.» Und er fügt hinzu: «Ändern wird sich aber nichts, sie werden es aussitzen, davon bin ich überzeugt.» Bern mit gutem Beispiel voran Dass es auch anders geht, hat das Kunstmuseum Bern bereits vorgemacht, indem es einen neuen Weg eingeschlagen hat: So hat die Institution die Unterscheidung zwischen Raubkunst sowie Fluchtkunst beziehungsweise Fluchtgut zugunsten der Bezeichnung «NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut» aufgegeben. Die neue Bezeichnung wurde adaptiert und wird auf die gesamten Sammlungsbestände angewendet – und gilt auch für die Dauerleihgaben von Stiftungen, die im Berner Museum beheimatet sind. Jacques Picard sagt: «Die Berner Leitlinie zeugt also von Mut, Klarheit und einem entsprechenden Kompass von Anfang an.» Eine zukunftsgerichtete Lösung zu finden ist also möglich, wie andere Beispiele zeigen. Inwieweit sich die verantwortlichen Beteiligten hinsichtlich der Sammlung Bührle bewegen werden, ist zum aktuellen Zeitpunkt noch offen.