Valerie Wendenburg

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Bundesrat erlaubt Nazi-Symbole

Erschienen am 11. Februar 2022 im jüdischen Wochenmagazin «tachles» .

An öffentlichen Kundgebungen gegen die Corona-Massnahmen stechen sie zurzeit immer wieder ins Auge: die gelben sogenannten Judensterne, die vom nationalsozialistischen Regime als Zwangskennzeichen für Personen eingeführt wurde, die nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 rechtlich als Juden galten. Heute steht oftmals «Ungeimpft» auf diesem Nazi-Symbol, das aktuell in der Öffentlichkeit zur Schau getragen wird. Anders als in Deutschland aber gilt in der Schweiz kein generelles Verbot rechtsextremer Symbole oder Gesten.

 

Die Rassismusstrafnorm (Artikel 261bis des schweizerischen Strafgesetzbuches) bestimmt, dass sich strafbar macht, wer «öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt». Das Tragen von Nazi-Symbolen oder auch ein ausgeführter Hitlergruss sind aber nur dann strafbar, wenn damit eine menschenverachtende Ideologie wie der Nationalsozialismus aktiv beworben wird.

Alte Argumentation
Gegen ein Verbot rassistischer Symbole entschied der Bundesrat bereits im Sommer 2010 – und er bekräftigt seine Argumente nun, zwölf Jahre später, erneut. Auslöser der neuen Verlautbarung des Bundesrats ist der Vorstoss von Marianne Binder-Keller (Die Mitte – EVP) «Keine Verherrlichung des Dritten Reiches. Nazi-Symbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos verbieten», der Ende November 2021 im Nationalrat eingereicht wurde. Der Bundesrat beantragte am 2. Februar 2022 nun die Ablehnung der Motion. Er greift vor allem auf seine Argumentation von 2010 zurück. Er schreibt in seiner Stellungnahme: «Es ist unbestritten, dass das Zur-Schau-Stellen und Instrumentalisieren von Kennzeichen des Nationalsozialismus schockierend und sehr belastend sein kann, namentlich für die Opfer des Holocaust und ihre Angehörigen bzw. Nachkommen. Jedoch vermag die öffentliche Verwendung rassistischer Symbole ohne Propagandazweck die Menschenwürde und den öffentlichen Frieden nur mittelbar beeinträchtigen.» Der Bundesrat gibt sich überzeugt, «dass gegen die Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen ohne Propagandazwecke Prävention besser geeignet ist als strafrechtliche Repression».

Eine «herbe Enttäuschung»
Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) haben sich bereits 2010 gegen den Entscheid des Bundesrats ausgesprochen. So sagt Dina Wyler, Geschäftsführerin der GRA, gegenüber tachles: «Die Antwort des Bundesrats ist, wie zu erwarten war, leider unbefriedigend. In seiner wenig aufschlussreichen Antwort verweist er bloss auf seine bisherigen Antworten zu ähnlichen politischen Vorstössen. Seine Begründung ist damit seit vielen Jahren unverändert.» Die gesellschaftspolitischen Realitäten hätten sich seither aber massiv geändert, die Rechtswirklichkeit sei heute eine andere. «Die GRA bedauert es daher sehr, dass der Bundesrat nicht bereit ist, die Sachlage neu zu beurteilen. Er hält an seiner Stellungnahme fest, dass ‹die öffentliche Verwendung rassistischer Symbole ohne Propagandazweck die Menschenwürde und den öffentlichen Frieden nur mittelbar zu beeinträchtigen›» vermag. Mit Verweis auf frühere Antworten sei «eine klare Definition von rassistischen Symbolen» nicht möglich. Dass die aus der Zeit des Nationalsozialismus stammenden und bekannten Symbole unter den Begriff «rassistische Symbole» fallen, sei aber weitgehend unbestritten. Problematischer wird es, so Dina Wyler, wenn Symbole für Gleichgesinnte eine Bedeutung haben, sich ihr Sinn Aussenstehenden aber verschliesst. Die Differenzierung, also wann eine aktive Bewerbung für eine rassistische Ideologie mittels Symbolen vorliegt und wann nicht, sei häufig rein theoretischer Natur und lebensfremd: «Was zum Beispiel, wenn sich jemand ein Hakenkreuz ans Auto klebt und damit herumfährt? Wie soll das eben nicht werbend sein?» fragt die GRA-Geschäftsführerin. Sie resümiert: «Die Bekräftigung älterer Statements ohne Einbezug der aktuellen Situation ist deshalb aus Sicht der GRA eine herbe Enttäuschung. Wir hätten gehofft, der Bundesrat habe aus der Unterwanderung der Corona-Demos durch Rechtsextreme und die Verwendung von entsprechenden diskriminierenden Symbolen etwas gelernt – leider scheint das nicht der Fall zu sein.»

Die Zeichen der Zeit erkennen
Auch Alma Wiecken, EKR-Geschäftsführerin, sagt: «Das Ziel der verschiedenen Vorstösse, dass niemand mehr rassistische Symbole verwendet, begrüssen wir selbstverständlich.» Sie verweist darauf, dass sich die EKR bereits 2009 während der Diskussionen um die Erweiterung der Rassismusstrafnorm auf ein Verbot rassistischer Symbole für ein solches Verbot ausgesprochen hat. «Da jedoch viele offene Fragen bestehen, in welcher Form am besten mit der Problematik der Verwendung rassistischer Symbole in der Öffentlichkeit umgegangen werden sollte, wird sich die Kommission an einer Plenarsitzung grundsätzlich mit dieser Fragestellung befassen», so Wiecken. Das Thema kommt in der EKR erneut auf den Tisch. Mit Bedauern reagieren auch die beiden jüdischen Dachverbände der Deutschschweiz, der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Plattform der Liberalen Juden, auf die Stellungnahme des Bundesrats, die für sie «nicht nachvollziehbar und unverständlich» sei.

«Wir hätten erwartet, dass der Bundesrat die Zeichen der Zeit erkennt.»

Jonathan Kreutner, SIG-Generalsekretär, sagt: «Die Begründungen für die Ablehnung des Anliegens irritieren. Einerseits stützt sich der Bundesrat auf frühere Ablehnungen ähnlicher Vorstösse und führt aus, dass eine Abgrenzung von strafbarem und straflosem Verhalten kaum möglich sei. Wir hätten erwartet, dass der Bundesrat die Zeichen der Zeit erkennt und eine Änderung seiner früheren Haltung prüft. Andererseits weist der Bundesrat darauf hin, dass diese Symbole auch weiterhin bei der Aufarbeitung in einem historischen, edukativen, journalistischen oder künstlerischen Kontext verwendet werden können sollten.» Dass dies auch bei einem Verbot möglich wäre, zeige ein Blick auf die Gesetzeslage in Deutschland und anderen Ländern, so Kreutner. Hinsichtlich der Äusserung des Bundesrats, dass Prävention wirksamer sei als strafrechtliche Repression, sagt er: «Menschen, die in der Öffentlichkeit den Hitlergruss zeigen oder ein Hakenkreuz benutzen, vertreten bereits eine gefestigte antisemitische Ideologie. Zu glauben, dass sich diese durch ein Präventionsprogramm davon abbringen liessen, ist eine massive Verkennung der Lage.» Der SIG-Generalsekretär verweist aber auch auf zwei weitere Vorstösse von Gabriela Suter (SP) und Angelo Barrile (SP), die noch nicht vom Bundesrat behandelt wurden. Er sagt: «Wir sind nach wie vor zuversichtlich, dass diese Vorstösse im Parlament Unterstützung finden werden und werden uns dafür auch weiterhin öffentlich und politisch starkmachen.»

Gesetzliche Grundlage schaffen
Auch aus der Romandie kommen kritische Reaktionen. Johanne Gurfinkiel, Generalsekretär der Coordination intercommunautaire contre lʼantisémitisme et la diffamation (CICAD), sagt auf Nachfrage: «Tatsächlich scheint der Bundesrat immer noch nicht bereit zu sein, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um Nazi- oder faschistische Symbole in der Schweiz zu verbieten, was wir bedauern.» Die CICAD erinnere in ihren Empfehlungen, die im Vorspann ihres Berichts über Antisemitismus veröffentlicht werden, jedes Jahr daran, dass ungeachtet der Rassismusstrafnorm das Schweizer Gesetz die Existenz offen rassistischer Parteien, die Verbreitung und den Verkauf von Nazi-Gegenständen, die Organisation privater Neonazi-Versammlungen sowie das Tragen von Zeichen, die an Faschismus und Nationalsozialismus erinnern, völlig ungestraft zulasse. Um diese Lücke zu schlies­sen, hat auch die CICAD bereits 2009 am Vernehmlassungsverfahren zum «Bericht und Vorentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes betreffend rassistische Symbole» teilgenommen. Obwohl die Motion 2010 vom Parlament abgeschrieben wurde, prangert die CICAD weiterhin das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage an. Im Jahr 2016 wandte sich die CICAD an Bundesrätin Simonetta Sommaruga, um ihr mitzuteilen, dass die Gesetzgebung vorangebracht werden müsse. «Diese Bemerkungen, die von der Bundesrätin gehört wurden, führten zu einer eingehenden Prüfung durch das Bundesamt für Justiz. Die Ergebnisse dieser Prüfung sprachen jedoch weiterhin gegen eine Änderung des Rassismusgesetzes», so Gurfinkiel. «Die Tatsache, dass Nazi-Symbole insbesondere auf Märkten ohne besondere Bestimmungen ausgestellt werden können, stellt weiterhin ein grosses gesetzgeberisches Problem dar. Wir bedauern, dass die Schweiz im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern das Verbot von Symbolen des Nationalsozialismus oder Faschismus zum jetzigen Zeitpunkt nicht in ihrer Gesetzgebung verankert hat.»

Jahrelange vergebliche Arbeit
Die CICAD möchte sich mit Entschlossenheit für eine Änderung der Strafprozessordnung einsetzen. «Wir mobilisieren Bundestagsabgeordnete, Juristen und einige Verbände mit dem Ziel, eine möglichst breite Koalition zu bilden. Unser Ziel ist es, Verbänden die Möglichkeit zu geben, in Verfahren im Zusammenhang mit der Strafnorm 261bis als Nebenkläger aufzutreten.» Gurfinkiel betont, dass die CICAD weiterhin mobilisiert und ihre Mission entschlossen fortsetzen wird. Die Bestrebungen, den Bundesrat von der Notwendigkeit eines Verbots von Nazi-Symbolen im öffentlichen Raum zu überzeugen, nehmen also erneut an Fahrt auf. Ob dies auf parlamentarischer Ebene Wirkung zeigen wird, ist noch offen.

«In der Schweiz ist es nach wie vor erlaubt, ein Hakenkreuz zu tragen.»

Daniel Jositsch, Rechtswissenschaftler und Politiker (SP), sagt gegenüber tachles: «Das Thema war vor zehn bis 15 Jahren Thema im Parlament. Ich habe mich damals für eine entsprechende Norm ausgesprochen und tue das auch heute noch. Die Vorlage ist aber nach einem langen Prozess gescheitert. Ob sich die Meinungslage des Parlaments mittlerweile geändert hat, wird sich zeigen. Es ist aber verständlich, dass das Bundesamt für Justiz nach jahrelanger vergeblicher Arbeit, wenig enthusiastisch ist.» Dass es anders geht als in der Schweiz, zeigt die Gesetzgebung in einigen Bundesländern in Deutschland. So stufte jüngst die Berliner Polizei das Tragen von gelben «Judensternen» mit dem Wort «Ungeimpft» als grundsätzlich volksverhetzend ein – und auch in anderen Bundesländern wird diese Handlung als Straftat verfolgt. In der Schweiz hingegen ist es nach wie vor erlaubt, ein Hakenkreuz oder einen gelben Stern auf der Kleidung zu tragen – wie lange noch?