Valerie Wendenburg

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Eine Satire über das Lesen

In seiner Heimat Grossbritannien ist der Schriftsteller Howard Jacobson ein Star – im Gespräch mit tachles redet er über sein neu auf Deutsch erschienenes Buch, den Literaturbetrieb, über Antisemitismus und jüdische Identität.

Erschienen im jüdischen Wochenmagazin tachles am 19. Dezember 2014.

Howard Jacobson, während Sie 2010 an Ihrem Buch «Im Zoo» arbeiteten, haben Sie erfahren, dass Sie den Man-Booker-Preis für ihren Roman «Die Finkler-Frage» erhalten. War es nicht eigenartig, über literarisches Versagen zu schreiben und den Literaturbetrieb zu kritisieren, während Sie mit dieser hohen Auszeichnung geehrt wurden?
Ja und nein. Mir war sehr schnell klar, was der Preis für mich bedeutete. Nämlich, dass ich sehr glücklich sein konnte, dass der Jury meine Arbeit gefallen hat. Für mich änderte sich nichts, nur weil ich dieses Glück hatte. Die Tatsache, dass man heutzutage einen Preis gewinnen muss, damit das eigene Buch bekannt wird, ist erschütternd genug. Es ist sehr schwer, heutzutage Leser zu finden, wenn man seriöse Prosa schreibt. Ohne diesen Preis wäre mein Buch wohl nicht auf Deutsch übersetzt worden – vieles wäre anders gelaufen. All die kritischen Dinge über den Literaturbetrieb, die ich in «Zoo Time» schildere, stimmten für mich nach wie vor. Der Preis bekam für mich in diesem Zusammenhang fast eine pikante ironische Note.

Sie waren nun für Ihr neues Buch «J», das noch nicht auf Deutsch erschienen ist, erneut für den Man-Booker-Preis nominiert.
Ja, aber ich habe den Preis diesmal nicht gewonnen. Es ist sehr schwer, ihn zweimal zu gewinnen. Ich war unter den letzten sechs, was auch eine gute Sache ist.

Erstaunt Sie, dass Sie nach so langer Zeit des Schreibens nun eine solche Ehrung erfahren?
Ich habe nie Bücher geschrieben, um Preise zu gewinnen. Es ist aber leider heute so, dass nur ein Preis den Menschen zeigt, dass ein Buch lesenswert ist. Plötzlich wird das Buch in viele Sprachen übersetzt, und es erscheint in Russland, China und sonstwo auf der Welt. Oft kann ein Autor erst dann vom Schreiben als Beruf leben. Ich kann diese Angelegenheit vielleicht etwas entspannter sehen, da ich schon älter bin und eine Karriere hinter mir habe – aber für junge Autoren ist das fatal. Sie stehen viel mehr unter Druck, einen Preis gewinnen und dann an ihrem frühen Erfolg anzuknüpfen zu müssen. Ich habe die Auszeichnung eher als Ehrung für mein Werk empfunden, was sie eigentlich gar nicht ist.

«Versteht die Jury überhaupt, worum es in dem Buch geht?»

«Die Finkler-Frage» ist ein humorvolles Buch über die Frage nach der jüdischen Identität. Haben Sie sich gefreut, dass Sie gerade mit diesem Thema auf grosse Resonanz gestossen sind?
Es war eine grosse Überraschung für mich und für viele englische Juden. Sie riefen mich an und sagten: «Versteht die Jury überhaupt, worum es in dem Buch geht?» Aber die Jury hat das Thema ernst genommen und mein Buch «J» erneut nominiert. «J» spielt in der Zukunft und sieht sehr düstere Zeiten für Juden vorher. Hinsichtlich des neu aufkommenden Antisemitismus scheint mir sehr wichtig aufzuzeigen, dass sich Geschichte wieder- holen kann. Was passiert im Falle eines wirtschaftliches Kollapses? Was geschieht, wenn sich die Situation in Israel nicht entspannt? Was passiert, wenn Israel sich dazu entscheidet, die iranische Atombombe zu zerstören? Die Rolle Israels ist für mich interessant, denn es hat ja Antisemitismus gegeben, lange bevor der jüdische Staat gegründet wurde. Wird Israel vielleicht auch aufgrund des ohnehin vorherrschenden Antisemitismus so kritisch gesehen? Das sind alles offene Fragen, die mich sehr beschäftigen. Was zurzeit hinsichtlich der öffentlichen Meinung über Israel geschieht, geht ja weit über Kritik hinaus – es sind Hasstiraden, mit denen das Land konfrontiert wird. Die Kritik wird immer extremer, und mit kaum einem anderen Land wird so umgegangen.

Sie haben einmal gesagt, es habe Sie gefreut, dass Ihre jüdische Stimme in England Gehör findet. Fühlten Sie sich lange unverstanden?
Ich schreibe britische Literatur und habe diese auch lange an Universitäten gelehrt. Ich liebe Charles Dickens und Jane Austen und Shakespeare. Zu diesem Klub wollte ich immer schon gehören. Als ich zu schreiben begonnen habe, musste ich jüdische Themen einfach aufgreifen, es war ein innerer Drang. Ich bin ein Engländer, aber ich habe realisiert, dass da etwas Jüdisches ist in der Art, wie ich denke und wie ich spreche. Mir war meine jüdische Herkunft immer bewusst, auch wenn sie mich nicht explizit interessiert hat. Erst durch das Schreiben habe ich realisiert, wie wichtig meine jüdische Identität für mich ist. Und oft hatte ich den Eindruck, dass manche Leser meine Art des Schreibens nicht wirklich verstanden haben. Ich kam mir manchmal ein wenig wie ein Ausserirdischer vor, der eine Mischung zwischen englischer und jüdischer Literatur schreibt. In England gibt es leider sehr wenige jüdische Schriftsteller. Für die Juden in England war ich daher ein Held, nachdem ich den Man-Booker- Preis gewonnen hatte. Ich kam mir vor, als hätte ich Jerusalem zurückerobert, so wurde ich gefeiert.

«Alle jüdischen Komiker sind nur komisch, weil sie eigentlich verzweifelt sind.»

Sie haben jahrelang englische Literatur an der Universität gelehrt – wie kamen Sie schliesslich dazu, selbst zu schreiben?
Eigentlich wollte ich nie akademisch tätig sein, ich wollte schon immer Autor werden. Nachdem sich in meiner Karriere wenig tat und ich nach einer spannenden Zeit in Sydney an einem schrecklichen Ort in England lehrte, war ich recht verzweifelt. Ich war zwischen zwei Ehen und zwischen zwei Jobs, das war eine schlimme Zeit. Aber je verzweifelter ich bin, desto komischer schreibe ich. Alle jüdischen Komiker sind nur komisch, weil sie eigentlich verzweifelt sind. Der jüdische Humor ist ja so herausragend, da die Juden wissen, dass das Leben tragisch, schrecklich und hoffnungslos ist. Und so verfasste ich ein Buch über meine Situation, über akademisches Versagen, einen Campus-Roman, der kurz vor meinem 40. Geburtstag im Jahr 1983 erschien. Meine 92-jährige Mutter sagt immer, dies sei mein lustigstes Buch. Das Buch «Coming From Behind» behandelte kein explizit jüdisches Thema, aber der Protagonist hiess Goldberg – und er war in seinem Verhalten äussert jüdisch.

Sie kritisieren, auch im Roman «Im Zoo», dass gute Literatur es heute neben Bestsellern wie Vampir-Romanen oder erotischer Literatur sehr schwer hat.
Ich kann einfach nicht verstehen, weshalb Menschen gerne schlechte Bücher lesen. Warum? Viele Menschen sagen, Bücher müssen leicht zu lesen sein, ich kann das nicht nachvollziehen. Auf mein Buch «J» angesprochen, wird mir oft gesagt, man müsse beim Lesen nachdenken. Aber gerade das macht doch Bücher lesenswert, gerade deshalb geniesse ich doch Lektüre. Für mich ist ein Buch von Charles Dickens tausendmal besser als eines über Vampire, egal welches. Es macht doch auch Freude, Henry James zu lesen. Viele Menschen glauben mir das nicht. In England hiess es, «Harry Potter» würde die Menschen wieder zu guten Lesern machen, aber das stimmt nicht. Sie lesen immer mehr leichte Kost und verschmähen wirklich gute Literatur. Diese Entwicklung wird immer schlimmer. Menschen wollen sich heute mit den Protagonisten identifizieren, auch das begreife ich nicht. Wer identifiziert sich denn schon gerne mit Macbeth oder mit Ödipus? Diese Frage stellte sich doch früher gar nicht! Ein Buch ist doch kein «Selfie». Es geht doch gerade darum, den eigenen Horizont zu erweitern. Und obgleich es um den Zustand der Leser aus meiner Sicht so schlecht bestellt ist wie nie zuvor, gibt es fantastische neue Literatur. Dies ist ein interessanter Widerspruch. Es ist, als würden die qualifizierten Autoren gegen diese Entwicklung anschreiben. Mein Buch «Im Zoo» ist daher auch als Satire über das Lesen und die Leser zu sehen, nicht so sehr über den Literaturbetrieb.

Howard Jacobson. Im Zoo. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014.