Valerie Wendenburg

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Eine tabufreie Zone

Der neu auf Deutsch erschienene Roman des niederländischen Autors Arnon Grünberg «Der jüdische Messias» spielt vor allem in Basel. Er handelt von einem jungen Mann, der zum Judentum konvertiert und sich zur Aufgabe gemacht hat, die «Juden zu retten». Ein gewagtes, in mehrfacher Hinsicht extremes Buch, das – auch aus Angst vor einem Skandal – erst nach neun Jahren auf Deutsch erschienen ist.

Erschienen im jüdischen Wochenmagazin tachles am 14. Juni 2013.

Ihr Roman «Der jüdische Messias» spielt zu einem grossen Teil in Basel. Aus welchem Grund haben sie diesen Ort ausgewählt?
Das Buch sollte in einer deutschsprachigen Stadt spielen, aber besser nicht in Deutschland oder Österreich. So viele Städte bleiben dann nicht übrig, und Basel machte für mich Sinn, weil es in der Stadt ein orthodoxe jüdische Gemeinde gibt und der erste Zionistenkongress dort stattgefunden hat. Ausserdem war ich selbst als Kind eine zeitlang in Basel in einer orthodoxen Familie untergebracht und habe so Einblicke in die jüdische Gemeinschaft gewonnen.

Das Buch ist bereits im Jahr 2004 in den Niederlanden erschienen – wie ist es für Sie, nun damit in der Schweiz und in Deutschland auf Lesereise zu gehen?
Das Buch ist neun Jahre alt, aber das spielt keine Rolle. Die Themen sind aktueller denn je, wenn man an die Beschneidungsdebatte und die atomare Bedrohung denkt. Ich habe im Januar ein Interview mit Günter Grass gemacht, und als das Gespräch auf Israel und den Nahen Osten kam, fühlte ich mich wieder stark an «Der jüdische Messias» erinnert.
Weshalb ist der Roman erst jetzt ins Deutsche übersetzt worden?
 Bei Diogenes gab es einige Leute, die das Buch zu provozierend oder «schräg» fanden. Ich gebe zu, dass das Buch heftig ist, aber das sollte es ja auch sein. Ich freue mich wirklich sehr, dass es nun auf Deutsch erschienen ist.

In dem Roman übersetzt Xavier, der Hauptprotagonist, zusammen mit seinem Freund Awrommele Hitlers «Mein Kampf» ins Jiddische. Wie kamen Sie auf die Idee?
Es gibt zu meinem Erstaunen tatsächlich eine jiddische Übersetzung von «Mein Kampf», das habe ich erst erfahren, als ich das Buch fast fertiggeschrieben hatte. Manchmal denkt man, man erfindet et- was Skurriles – und dann gibt es das bereits. So ist überhaupt vieles, was in meinem Buch absurd scheint, ganz normal. Ich, der ich eher traditionell aufgewachsen bin, habe zum Beispiel, meinen ersten echten Sexualkundeunterricht von orthodoxen Rabbinern erhalten. Die wussten viel mehr als ich – was vielleicht auch wieder verständlich ist, denn wenn etwas tabu und verboten ist, dann ist man umso mehr interessiert.

War Ihr Buch im Ausland ein Erfolg?
Ich verkaufe meine Bücher noch immer am Besten in den Niederlanden. Aber sowohl in Frankreich als auch in den USA gab es gute Kritiken, in Israel ist es noch nicht erschienen. Aber es ist auch nie wirklich irgendwo ein Skandal geworden, was manche Verleger vielleicht erwartet hatten. Der Roman an sich ist heute ja fast eine tabufreie Zone geworden, das macht die Freiheit von Literatur aus.

«Die Aufarbeitung der Schoah lässt sich nicht gut reell in einem Roman beschreiben.»

In der «Basler Zeitung» wurde Ihr Buch als «genial und furchtbar» beschrieben. Stimmen Sie mit dem zu?

Mich hat das irgendwie gewundert. Einige Menschen finden die Szene der Be- schneidung so schrecklich und grausam. Für mich ist das eher absurd und auch komisch. Überhaupt gibt es viele Dinge, von denen die Leute denken, ich hätte sie frei erfunden. Aber ich habe wirklich einen erwachsenen Mann in Österreich in der Synagoge getroffen, der konvertieren wollte, weil einer seiner Vorfahren ein Nazi war. Das gibt es alles. Die Aufarbeitung der Schoah lässt sich nicht gut reell in einem Roman beschreiben und da habe ich manche Szenen extra ins Tragikomische gezogen, auch die Beschneidungsszene. Die ganze Debatte um das Thema kam ja erst viel später auf. Meiner Meinung nach hat diese Debatte – zumindest in den Niederlanden – sehr viel damit zu tun, dass die Menschen antimuslimische Gefühle haben und sich dies nun auf die Juden auswirkt. Was auch wieder skurril ist.

Wodurch kommt Xaviers Motivation, die Juden retten zu wollen?
Xavier zeichnet sich durch eine gewisse Naivität aus, als er sich mit der Vergangenheit seines Grossvaters beschäftigen muss. In dieser Hinsicht glaube ich, dass es wirklich schwerer ist, Nachkomme von Tätern als von Opfern zu sein. Wenn die Eltern Opfer waren, kann man sich irgendwie immer noch mit ihnen identifizieren, aber Kinder von Tätern stecken in einem viel tieferen Zwiespalt. Einerseits liebt man die Eltern natürlich, andererseits muss man die Eltern verdammen.

Die Mutter von Xavier vergöttert ja auch ihren Vater trotz seiner Vergangenheit, ihren Sohn allerdings kann sie nicht lieben. Auch ihr Verhalten ist extrem.
Ja, aber auch das gibt es ja. Das kam auch in meinem Roman «Tirza» vor – Mütter, die unfähig sind, ihre Kinder zu lieben. Das ist einfach ein Thema, das mich sehr interessiert, da es immer wieder vorkommt, aber nicht besprochen wird und tabu ist. Die Situation ist schwierig für beide Seiten.

Zum Schluss des Romans heisst es, der einzige Trost für die Menschen sei deren Vernichtung. Können Sie diese Aussage erläutern?
Ich möchte nichts verherrlichen, aber viele Menschen finden in destruktivem Verhalten einen gewissen Trost. Wenn man süchtig ist, ist dies eine Art destruktive Verführung, gerade weil das Destruktive so absolut ist – und das Absolute bietet nun mal Trost.
Xavier sagt, er liebt die Juden, gleichzeitig will er sie trösten.
Ohne meine Erfahrungen im deutschen Raum hätte ich viele Dinge vielleicht nicht so beschrieben, aber die Grenze zwischen Philosemitismus und Antise- mitismus ist in Deutschland oft fliessend. Der Spielraum ist nicht sehr gross. Wenn man eine Gruppe oder ein Volk verherrlicht, ist man auch schnell von einzelnen ihrer Mitglieder enttäuscht.

«Es gibt nichts Fanatischeres als den Fanatismus der Konvertierten.»

Haben Sie Sympathien mit Xavier?
Ja, sehr starke. Er ist naiv, aber ich verstehe seine Naivität auch gut. Zum Konvertieren gehört für mich immer eine gewisse Naivität und Verherrlichung. Es gibt nichts Fanatischeres als den Fanatismus der Konvertierten – nicht nur bei den Juden.

Ist das Buch auch autobiografisch?
Meine Bücher sind immer auch autobiografisch. Ich wollte mich hier einmal mit meiner jüdischen Identität und dem ganzen Thema auseinandersetzen, das war für mich wirklich wichtig, weil das Judentum ein Teil meines Lebens ist. Es spielt eine Rolle hinsichtlich der Art wie ich auf die Welt reagiere und wie die Welt auf mich reagiert – und wie ich mich dazu verhalten muss. Immer wieder werden Juden mit Israel gleichgestellt, und das hat mich auch beschäftigt. Meine beiden Eltern sind in Deutschland geboren, ich bin in Holland aufgewachsen und lebe in New York – ich habe in Israel nicht ein- mal Stimmrecht, und dennoch fragen mich die Leute immer wieder nach der politischen Situation in Israel und nicht nach der in Deutschland, den Niederlanden oder den USA. Was bedeutet das eigentlich? Und wie muss ich damit umgehen?

Wie sind Ihre nächsten Pläne?
Ich beginne bald wieder einen neuen Roman, mein letzter «Der Mann ohne Krankheit» (2012) wird gerade ins Deutsche übersetzt. Daneben arbeite ich ja immer wieder journalistisch, ich war öfter in Afghanistan und Irak. Jetzt werde ich im Sommer für zwei Monate in Belgien in einer geschlossenen Anstalt leben, zusammen mit psychotischen Patienten. Ich nehme keine Medikamente, werde sonst aber genau das gleiche Leben führen und die gleichen Therapien machen wie die anderen Menschen. Ich bekomme gerne echte Einblicke in Sachen, die mich interessieren, und berichte dann möglichst authentisch darüber. Diese Art zu arbeiten ist zeitintensiv, aber auch erfrischend – und sie macht mich glücklich.

Arnon Grünberg: Der jüdische Messias. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013