Valerie Wendenburg

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Ethik, Moral und Geld 

In der Schweiz ist die politische wie moralische Debatte um das Thema Fluchtgut neu entbrannt – eine faire und gerechte Lösung scheint noch lange nicht in Sicht.

Erschienen im jüdischen Wochenmagazin tachles am 11. September 2015.

Das Thema Fluchtgut spaltet die Gemüter: Dies wurde auch an der gut besuchten Tagung zum Thema «Fluchtgut II – Zwischen Fairness und Gerechtigkeit für Nachkommen und heutige Besitzer» deutlich, zu der das Museum Oskar Reinhart in Winterthur eingeladen hatte. Schon bald kochten die Emotionen hoch, und die Fronten verhärteten sich eher, als das man sich annäherte. Vereint waren neben zahlreichen Juristen Vertreter der Kunstbranche aus der Schweiz und Deutschland, und es wurde deutlich, dass die Schweiz noch ziemlich am Anfang steht, wenn es darum geht, sich mit dem Thema Fluchtgut auseinanderzusetzen. 

«Keiner von ihnen hat das Geschäft jemals angezweifelt.»

Der Direktor des Museums Oskar Reinhart und Initiator der Tagung, Marc Fehlmann, betonte bereits bei seiner Begrüssung, dass es im Gegensatz zur Raubkunst bei Fluchtgut keine einheitliche Regelung gebe. So sagte Fehlmann auch in seiner Rede, der «Eigentumswechsel infolge der NS-Herrschaft» sei im Fall von Fluchtgut «kein krimineller Akt» gewesen, da die Käufer mit dem Geschäft einverstanden gewesen seien – und er frage sich, wer heute überhaupt ein Interesse daran habe, Fluchtgut mit Raubkunst gleichzusetzen. Auch Claudius Ochsner, Präsident des Kunsthandels­verbandes der Schweiz und Geschäftsführer der Barr & Ochsner GmbH, betonte, man solle sich bemühen, objektiv zu bleiben und heutige Besitzer nicht zu kriminalisieren. Es sei heute leicht, über Menschen von damals zu richten, die «Akteure ihrer Zeit und Menschen ihrer Epoche waren».

Ins gleiche Horn blies Kunsthändler Walter Feilchenfeldt, der in seinem Referat die Situation des Kunsthandels in der Schweiz in den dreissiger und vierziger Jahren darstellte. Sein Vater Walter Feilchenfeldt sen. (1894–1953) war ein jüdischer Kunsthändler, der aus Deutschland über die Niederlande in die Schweiz emigrierte. Feilchenfeldt führte aus, dass sein Vater als Kunsthändler immer auch im Sinne der Verkäufer agierte, und er betonte, dass diese nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu keiner Zeit auf die Idee gekommen seien, ihre unter besonderen Umständen verkaufte Kunst zurückzufordern oder eine Entschädigung zu verlangen. Im Gegenteil: Viele Sammler seien noch viele Jahre mit seinem Vater befreundet gewesen. «Keiner von ihnen hat das Geschäft jemals angezweifelt», so Feilchenfeldt, der ferner von «klassischen Verkaufsvorgängen» sprach, da Kunst den Besitzer eben wechsle und sich Käufer und Verkäufer immer in gegenseitigem Einverständnis auf einen Preis geeinigt hätten. 

«Verlogene Gerechtigkeitsparolen» 

Feilchenfeldts Aussage, dass die Verkäufer bis zuletzt immer die Möglichkeit gehabt hätten, «Nein» zu sagen, mutet merkwürdig an, wenn man sich die damaligen Begebenheiten für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland vor Augen führt. Und die Frage von Historiker Thomas Buomberger danach, weshalb Feilchenfeldt seine Archive nicht öffne und der Forschung zur Verfügung stelle, liess dieser unbeantwortet. Vielmehr beschwerte er sich über amerikanische Anwälte, denen es bei Restitutionsforderungen nur ums Geld und nicht um Gerechtigkeit ginge. «Forscher und Anwälte verdienen daran», so Feilchenfeldt. Seiner Meinung nach sei jeder Verkaufsabschluss damals bindend gewesen, von daher gäbe es auch keinen Grund, Fluchtgut zu restituieren. Ferner sprach er von «verlogenen Gerechtigkeitsparolen des Geldes wegen» und zweifelte weiter die «eigenwillige Ethik der amerikanischen Weltpolizei» an. 

Eine Frage des Geldes 

Einen differenzierteren Blick auf die Dinge warf Johannes Nathan, der sich als Vertreter der Enkelgeneration vorstellte. Nathan, Kunsthistoriker und Geschäftsführer der Nathan Fine Art in Zürich, Berlin und Potsdam, verwies darauf, dass der Erlös für die verkaufte Kunst den Menschen auf der Flucht zugute kam und oftmals zu marktüblichen Preisen gehandelt wurde. Er sagte: «Es ist längst nicht immer belastet, was auf den ersten Blick belastet scheint.» Aus seiner Sicht würden fordernde Rechtsnachfolger die heutigen Besitzer verängstigen, und er forderte eine Unterstützung für Sammler, um eine Lösung für Kulturgut im privaten Besitz zu finden. Er denke an eine Art Anlaufstelle für Sammler, bei der diese selbst um Rat fragen könnten, wenn es um Fluchtgut geht – wer eine solche Stelle finanzieren solle, blieb aber unklar. Deutlich wurde, dass auch bei heutigen Besitzern viele Fragen offen sind und eine grosse Unsicherheit herrscht, wie mit dem sensiblen Thema umzugehen ist. 

«Faire und gerechte Lösungen sind noch lange nicht in Sicht.»

Auf die Rechtsunsicherheit ging Georg Graf ein, Ordinarius für Privatrecht an der Rechts­wissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg. Er betonte, dass es rein juristisch betrachtet keinen Grund dafür gebe, Fluchtgut zu restituieren. Weder sei der Verkäufer vom Käufer genötigt worden, noch sei Gewalt im Spiel gewesen. Rechtlich seien die Käufe von damals ein «einwandfreies Geschäft». Auch wenn die Käufer eine Notsituation ausgenutzt hätten, sei dies allein kein Restitutionsgrund. Graf sagte aber auch klar: «Der Kern der Flüchtlingsproblematik liegt darin, dass Menschen aufgrund ihrer Flucht Kunst veräussert haben, was sie sonst nicht getan hätten.»

Der Schaden, den die Erben von heute tragen, sei ihnen aber nicht von den Käufern zugefügt worden, sondern vom Deutschen Reich. Daher ist Graf der Ansicht, dass Deutschland und Österreich die Verantwortung übernehmen sollten. «Wenn die Regierungen die Verantwortung für Raubkunst übernehmen, müssen sie es auch für Fluchtgut tun», sagt Graf, der aber nur von Kunst in öffentlichen Museen spricht. Auf private Sammlungen gäbe es keinen Zugriff – und überhaupt müsse jeder Fall gesondert betrachtet werden. Und er merkte an: Auch wenn immer wieder von Ethik, Gewissen und Moral die Rede sei: «Am Schluss geht es immer um Geld.» 

Vom Wert der Kunst 

Dass es heutzutage auch im Sinne der Kunstsammler- und händler sein muss, ihre Kunstwerke auf ihre Herkunft hin zu überprüfen, wurde in späteren Vorträgen an der Tagung deutlich – denn Bilder mit erforschter Provenienz sind heute viel mehr wert als die Kunstwerke, deren Herkunft fraglich ist. Aktuelles Beispiel dafür, wie umstritten Kunstsammlungen mit ungeklärter Provenienz sind, ist die Sammlung Bührle, die Teil des Kunsthauses Zürich werden soll und deren Provenienz trotz Nachforschungen noch Lücken aufweist. Öffentliche Einrichtungen sind hier mehr unter Druck als private Sammler, aber auch diese können mit Kunst, deren Provenienz ungeklärt ist, kaum mehr Geschäfte machen. Wie Andrea Baresel-Brandt vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg deutlich machte, ist ein Kunstwerk, das erst einmal in der offiziellen deutschen Datenbank Lostart.de aufgelistet ist, kaum mehr handelbar. Ist die Provenienz eines Bildes aber vollumfänglich geklärt, werde dessen Wert klar gesteigert. Transparenz ist wichtig, die Verunsicherung aber gross, da bisher völlig unklar ist, wie mit Fluchtgut in der Schweiz umgegangen werden soll. Obgleich der Erwerb von Fluchtgut hierzulande bis heute als legal gilt, befürchten die jetzigen Besitzer, Sammler, Museen und Kunsthändler einen Ansturm von Forderungen, sollte auch Fluchtgut restitutionsfähig werden. An der Tagung in Winterthur wurde – auch in der abschliessenden Podiumsdiskussion – deutlich, dass die Meinungen weit auseinandergehen und es nicht nur um moralische und ethische Fragen geht, sondern vor allem um Geld und Politik. 

Forschung intensivieren 

Dies scheint auch der Bund so zu sehen: In seiner Kulturbotschaft 2016–2019 schreibt Bundesrat Alain Berset: Eine nicht einwandfrei durchgeführte Provenienzforschung birgt ein erhebliches Risiko für den guten Ruf eines Staates. Seitens des Bundes besteht deshalb der Wunsch, dass die öffentlichen und privaten Eigentümer von Kulturgütern ihre Provenienzforschung intensivieren und die dafür notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen. Museen sollen künftig Mittel vom Bund dafür erhalten, ausserdem sollen Subventionen an Museen mit der Bedingung an Provenienzforschung verknüpft werden. Ein erster Schritt in die richtige Richtung – ob Privatpersonen dem «Wunsch» aber Folge leisten und ihre Archive öffnen werden, bleibt ebenso offen wie die Frage, was mit Kunst geschieht, die als Fluchtgut ausgemacht wird. Die Diskussion zu dem Thema ist, auch aufgrund des umstrittenen Vermächtnisses von Cornelius Gurlitt an das Kunstmuseum Bern, in der Schweiz neu in Gang gebracht worden. Faire und gerechte Lösungen sind aber noch lange nicht in Sicht.