Valerie Wendenburg

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Feierlichkeiten im Ausnahmezustand

Erstmals erschienen in der jüdischen Wochenzeitung tachles vom 26. August 2022

Seit Tagen kreisen Armeehubschrauber über Basel, und das Gebiet um das Stadtcasino, in dem die Jubiläumsfeier zum Zionistenkongress stattfindet, wird hermetisch durch Angehörige der Armee abgeriegelt. Ein Bild, dass die Besucher der Innenstadt nur selten zu sehen bekommen. Die Sicherheitsmassnahmen im Vorfeld und während der Feierlichkeiten sind aufwändig und die Sorge gross, etwas Ungeplantes könnte geschehen, zumal Gegenveranstaltungen für den Samstag und eine Gegendemonstration am Sonntag bereits im Vorfeld angekündigt und auch bewilligt wurden.

Das Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt scheint überfordert und ändert kurzfristig Veranstaltungsorte, es hat sogar ein Podium mit namhaften jüdischen Gästen spontan ganz in den virtuellen Raum verlegt. Die Rede ist von der Diskussionstrilogie «Zionismus von verschiedenen Seiten beleuchtet», die bereits am Dienstag stattgefunden hat. Organisiert wurde das Rahmenprogramm von Präsidialdepartement, Swisspeace und der Offenen Kirche Elisabethen im Vorfeld der offiziellen Feierlichkeiten der World Zionist Organization (WZO). Zu Beginn war auch die Israelitische Gemeinde Basel (IGB) als Mitorganisatorin auf dem Flyer aufgeführt, laut Isabel Schlerkmann ist die Gemeinde letztendlich gar nicht an dem Rahmenprogramm beteiligt gewesen, da sie nicht in das Programm involviert worden sei. Und es gab weitere Änderungen: Ursprünglich sollten alle drei Podien im kHaus, dem jüngst neu eröffneten Kasernen-Hauptbau, durchgeführt werden. Sehr kurzfristig stellte sich aber nun offenbar heraus, dass das kHaus die gehobenen Sicherheitsanforderungen der Veranstaltungsreihe nicht erfüllen könnte. Lukas Ott, Leiter der Kantons- und Stadtentwicklung, sagt gegenüber tachles: «Eine Überprüfung hat ergeben, dass das kHaus die gehobenen Sicherheitsstandards nicht erfüllt. Durch eine frühere Überprüfung hätte ein solcher Orts- und Formatwechsel vermieden werden können. Wir sind froh, dass wir schnell eine neue, geeignete Lösung gefunden haben.» Versäumnisse wie diese lassen die Planung dieses bedeutenden Kongresses, dessen Sicherheitskosten auf rund 5,7 Millionen Franken geschätzt werden, nicht sonderlich professionell aussehen und sorgten im Vorfeld für Verunsicherung.

«Der Nahostkonflikt gehöre in der Schweiz zweifellos zu den am meisten polarisierenden Konflikten.»

Zwei Podien der Veranstaltungsreihe fanden nun im Kollegiengebäude der Universität Basel statt, das Podium «Zionismus: Traum und Wirklichkeit» wurde gänzlich ohne Zuschauer abgehalten, was auch prompt zu einer prominenten Absage führte: Für den deutschen Historiker Michael Wolffsohn war es offenbar nicht mehr interessant genug, zu einer rein virtuellen Veranstaltung extra nach Basel zu reisen. So fand das Podium in kleinerer Runde mit der Journalistin und Filmemacherin Esther Shapira, dem Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) Ralph Lewin, dem arabischstämmigen Israeli Ahmad Mansour, Psychologe und Autor, und der Botschafterin des Staates Israel in der Schweiz, Ifat Reshef, statt.

Das zweite Podium «Traum oder Trauma? Stimmen aus Israel und Palästina» wurde am Mittwoch in der Aula des Kollegiengebäudes der Universität Basel abgehalten. In der moderierten Gesprächsrunde ging es um Alltagserfahrungen und Lebenswelten von Menschen in und um Israel. Einer der Moderatoren, der Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel, sagte im Anschluss gegenüber tachles: «Der Anlass war mit rund 100 Personen gut besucht, er verlief absolut friedlich und es wurde eine äusserst respektvolle, wertvolle Diskussion über die israelische Gesellschaft geführt.» Seiner Meinung nach ist es «extrem wichtig ist, allen Meinungen die gleichen Möglichkeiten zu geben, sich öffentlich zu äussern. Zugleich muss die Sicherheit gewährleistet sein.» Der Nahostkonflikt gehöre in der Schweiz und in anderen europäischen Ländern zweifellos zu den am meisten polarisierenden Konflikten. Die Sensibilität der zuständigen Behörden sei wegen des bevorstehenden Staatsbesuchs stark erhöht. «Trotzdem kann und soll der Dialog auch zu diesem Konflikt mit allen Seiten geführt werden», so Goetschel.

Das dritte Podium mit dem Titel «What Role Does Religion Play in the Middle East Conflict?» fand nach Redaktionsschluss unter Einbezug der Öffentlichkeit statt. Die Podien von Mittwoch und Donnerstag waren im Grund die einzigen Anlässe, an denen ein echter und offener Dialog mit Publikum überhaupt möglich war. Das Programm, welches nun seitens der WZO folgt, ist einem ausgewählten Kreis von Gästen vorenthalten. Für die Basler Bevölkerung sichtbarer werden die Gegenveranstaltungen in der Stadt sein – während die jüdische Gemeinschaft weitgehend geschützt und abgeschottet wird und unter sich bleibt.

«Seitens des Bundesrats wird ausschliesslich Guy Parmelin in Basel erwartet.»

Am Samstag findet im Zuge der Jubiläumsfeierlichkeiten in der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) ein Kiddusch am Schabbat für Gemeindemitglieder und Gäste aus der ganzen Welt statt, erwartet werden bis zu 300 Gäste. Der Kiddusch wird von der WZO und vom SIG gesponsert. Ein Höhepunkt für die jüdischen Gemeinden ist ein Treffen mit dem israelischen Staatspräsidenten Jitzhak Herzog, der die jeweiligen Präsidentinnen und Präsidenten trifft. Der Präsident der IGB Emmanuel Ullmann wird allerdings nicht anwesend sein, er hat, wie er gegenüber tachles betont, geschäftliche Verpflichtungen in Solothurn, die IGB werde aber an dem Treffen anwesend sein. In Basel nicht an den Feierlichkeiten dabei sein wird auch der Co-Leiter des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel, Alfred Bodenheimer. Nach den Gründen seiner Abwesenheit gefragt, sagt er: «Die Gründe dafür sind ausschliesslich privater Natur.» Das Zentrum für Jüdische Studien sei mit seinem Kollegen Erik Petry ausgezeichnet vertreten, und «wir haben auch alles mit diesem Anlass Verbundene gemeinsam besprochen und tun dies auch weiterhin in enger Abstimmung.» Nicht an der Gala teilnehmen wird auch die Präsidentin der der Gesellschaft Schweiz-Israel Corina Eichenberger-Walther. Seitens des Bundesrats wird ausschliesslich Guy Parmelin erwartet, Bundespräsident Ignazio Cassis wird den israelischen Staatspräsidenten Herzog in Bern empfangen und nicht zu den Feierlichkeiten nach Basel reisen.

In diesen Tagen der Feierlichkeiten in Basel fehlt zudem Ronald Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC). Sein Büro in New York begründet seine Abwesenheit wie folgt: «Der WJC ist nicht Teil des WZO ist, der sich aus vielen jüdischen Organisationen zusammensetzt. Der WJC ist in seiner Ausrichtung und Philosophie zutiefst zionistisch. Israel steht im Mittelpunkt unseres Engagements und unserer Aktivitäten, ebenso wie für unsere angeschlossenen Gemeinden.» Ronald Lauder sei zutiefst zionistisch eingestellt. «Dass wir nicht kommen, ist also keineswegs eine Aussage über den Zionismus. Diese Veranstaltung wird von den Mitgliedsorganisationen des WZO ausgerichtet.» Die einzelnen jüdischen Organisationen scheinen hier gesonderte Wege zu gehen, auch wenn sie betonten, dem gleichen Ziel verbunden zu sein.

«Der Wunsch nach Akzeptanz und Normalität für Jüdinnen und Juden scheint weiter entfernt scheint denn je.»

Fakt ist, dass ein Jubliäumskongress zum Thema Zionismus, unabhängig von den anwesenden Gästen, in der Schweiz und im konkreten Fall in Basel nicht unbeschwert gefeiert werden kann. Im Gegenteil: Die Anforderungen an die Sicherheit sind aufgrund der israelkritischen Stimmen so hoch, dass das Militär bis Dienstag einen subsidiären Einsatz in der Stadt leistet – vergleichbar mit einem Einsatz am World Economic Forum. Anlässlich der Feierlichkeiten werden am Montag die Synagoge und die anliegenden Strassen zur Sperrzone erklärt. In mehreren Strassen gelte dann ein allgemeines Fahrverbot, teilte die Basler Kantonspolizei am Dienstag mit. Auch der Steinenberg, an dem das Basler Stadtcasino liegt, soll am Sonntag und Montag für den Individualverkehr gesperrt sein, am Montagnachmittag wird der öffentliche Verkehr umgeleitet, während ein paar Strassen weiter zur gleichen Zeit das Klosterbergfest gefeiert wird. Auch beim Eglisee in Riehen wurde eine Wiese von der Armee mit Stacheldraht eingezäunt und zur Sperrzone erklärt, was bei der Bevölkerung teils auf Unmut stiess. All diese offenbar notwendigen Sicherheitsmassnahmen sollten jeder Einwohnerin und jedem Einwohner Basels aber auch deutlich vor Augen führen, dass die Existenz des Staates Israel im Jahr 2022 alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist und der Wunsch nach Akzeptanz und Normalität für Jüdinnen und Juden – selbst in einer weltoffenen Stadt wie Basel – weiter entfernt scheint denn je.