Valerie Wendenburg

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Heinrich Heine als «geheime Herberge» 

Erschienen im jüdischen Wochenmagazin tachles am 16. September 2011.

Der namhafte amerikanische Historiker Fritz Stern hielt Anfang der Woche im Literaturhaus Basel einen Vortrag über Heinrich Heine. Im anschliessenden Gespräch kam Stern zudem auf seine Sorge hinsichtlich der politischen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten wie auch in Europa zu sprechen. 

Das Literaturhaus war bis auf den letzten Platz ausverkauft, als am Montagabend besonderer Besuch aus den USA erwartet wurde: Der renommierte Historiker Fritz Stern, der in diesem Frühjahr seinen 85. Geburtstag feierte, betonte gleich zu Beginn der Veranstaltung, dass es für ihn eine besondere Freude sei, in Basel zu Gast zu sein. Stern, der sich gerne im Engadin aufhält, beschrieb seine besondere Beziehung zu Basel, die vor allem der ehemaligen «Basler Nationalzeitung» als wichtige Informationsquelle in schwieriger Zeit als auch seiner Anerkennung für Jacob Burckhardt zu verdanken sei. 

Ein geistiges Europa 

In seinem fast einstündigen Vortrag über «Heine und unsere Welt» entfernte sich Fritz Stern von seinem eigentlichen Fachgebiet Geschichte und entführte seine Zuhörer in die Welt des Dichters Heinrich Heine, der Sterns Leben nachhaltig geprägt hat. «Ich verliess Deutschland, als ich zwölf Jahre alt war, mit Hass», betonte Stern, «und mit Heine». Mit zahlreichen Gedichten sei er ausgewandert, vor allem geprägt habe ihn «Ein Wintermärchen», das ihm zuerst von seinem Vater vorgelesen wurde. Später dann habe er Heines Schriften über Napoleon Bonaparte gelesen. Heines Einstehen für freiheitliche Werte und sein staatsbürgerliches Engagement als Pflicht wie als Privileg hätten ihn zutiefst geprägt, so Stern: «Heine war für mich ein europäisches Phänomen. Sein Blick auf Napoleon und auf Europa hat einen grossen Eindruck auf mich gemacht.» Während der Zeit des «Dritten Reichs», so Stern, sei Heinrich Heine für ihn «eine geheime Herberge und eine Stütze im Durchhalten» gewesen. Heine habe so viele gegensätzliche Gedanken in sich getragen und thematisiert, dass er für Stern so viel wie ein «geistiges Europa» bedeutet habe. 

Unausweichliches Judentum 

Als deutscher Jude 1797 geboren, ist Heinrich Heine im Jahr 1825 zum Christentum übergetreten – ein Schritt, so Stern, «mit dem er sich nie wirklich versöhnt hat». Somit habe der Dichter in gewissem Sinne immer im Exil gelebt – wie Stern auch – und das Gefühl der Heimatlosigkeit und der Zerrissenheit verkörpert: «Heine war Zeuge eines jüdischen Schicksals, er war Kind seiner Zeit», so Stern. Sein Verhältnis zum Judentum sei immer ambivalent gewesen, er habe es «am eigenen Leben gespürt». Einerseits stolz auf das Volk des Buches, «litt Heine an seiner jüdischen Herkunft und blieb ihr doch sein Leben lang treu». Das Judentum sei für ihn unausweichlich gewesen, denn auch aufgrund seiner Herkunft wurde er immer wieder angefeindet und ausgegrenzt. Diese Aussenseiterrolle habe Heines Leben sowie sein Werk geprägt: «Die deutsche Sprache war für ihn das einzige Gut, das nicht enteignet werden konnte.» Auch in dieser Hinsicht fühlte sich Stern wohl mit dem Dichter verbunden. 

Ein moderner Denker 

Beeindruckend an Heinrich Heine sei auch seine Gabe, eine Vorahnung von den Dingen gehabt zu haben, sagt Stern: «Er hatte eine Ahnung in vielerlei Hinsicht und ein Gespür für das Moderne.» Als Alfred Bodenheimer, Ordinarius für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums am Institut für Jüdische Studien der Universität Basel, im Anschluss an den Vortrag im Gespräch mit Stern fragte, ob Heine für ihn der erste moderne Denker gewesen sei, antwortete Stern: «Ja. Heinrich Heine und Friedrich Nietzsche waren die grossen Vordenker unserer Zeit.» Nach Bodenheimers Frage, ob Stern mit Heine eine Art Seelenverwandtschaft spüre und Heine als «Identifikationsfigur» gesehen habe, herrschte eine kurze Stille, bevor Stern fast erschrocken antwortete: «Darüber habe ich bisher zum Glück noch nie nachgedacht. Denn ohne Distanz hätte ich nicht über Heine arbeiten können. Ich muss sofort aufhören, mir darüber Gedanken zu machen!» 

Zivilcourage zeigen 

Das Publikum nahm den Themenwechsel auf und stellte Fritz Stern Fragen über das heutige Amerika, das sich nach Stern in einer Art «geistigen Bürgerkriegs» befindet. Grosse Sorge bereiten ihm rechte Gruppen wie besonders die Tea Party, die in einer Weise finanziert würde, wie es dies noch nie gegeben habe. «Ich halte diese Gruppierung für ungemein gefährlich», so der Historiker, der zudem befürchtet, dass sich die USA aufgrund ihrer eigenen innenpolitischen Sorgen in eine Art innere Isolation begeben könnten, die wiederum einen erhöhten Rassismus und eine grössere Fremdenfeindlichkeit nach sich ziehen könnte. «Die USA hat sich schon so oft wieder erholt», sagt Stern, «aber im Moment sieht es düster aus.» Auf die Frage nach Europa bekräftigte Stern seine Hoffnung darauf, dass in Zukunft trotz der bekannten Schwierigkeiten auch die ungeheuren Vorteile eines geeinten Europas gesehen würden: «Die Idee ist ja nicht neu. Zumindest ein geistiges Europa gab es früher schon.» Es gelte, die jetzige Krise zu überwinden und für Europa zu kämpfen. Zur Rolle Deutschlands sagte Stern: «Das Land ist die grösste Wirtschaftsmacht in Europa – leider mit der schwächsten Regierung.» Und hier nahm der Historiker selbst den Bogen zu Heine wieder auf. Denn auch heute müsse man sich ernsthaft mit Politik beschäftigen – so wie Heine es damals getan hat. Und so beschloss Fritz Stern den Abend mit den Worten: «Zivilcourage zu zeigen, das gilt in der heutigen Zeit ganz besonders.»