Valerie Wendenburg

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Kochen als Zauberkunst

In ihren Kochmemoiren geht die Zürcher Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen ihrer Leidenschaft auf den Grund – sie spürt den Traditionen ihrer Familie nach und präsentiert mehr als 250 Rezepte.

Erschienen im Jüdischen Wochenmagazin tachles am 3. März 2017.

Zum Gespräch über ihr Buch «Besessen» lädt Elisabeth Bronfen in ihre Altbauwohnung im Zürcher Kreis 6 ein. Wo könnte sie auch besser über ihre Kochmemoiren sprechen als in der eigenen Küche? Vom Einfallsreichtum der Professorin für Anglistik zeugen bereits die ersten Minuten des Besuchs bei ihr: Weil die Haustür abgeschlossen ist, lässt Bronfen kurzerhand einen Seilzug mit einem Samtbeutel vom Balkon, im dem sich der Hausschlüssel befindet. In der Wohnung angelangt, steht sie zur Begrüssung in ihrem langen Flur, in dem die Regale voll Büchern und Filmen fast bis zur Decke reichen. Kultur und Gemütlichkeit, wohin das Auge reicht – und auch die Küche lädt zum Verweilen ein. Kleiner als erwartet angesichts der Fülle an Rezepten, die in dem Buch präsentiert werden, ist der Raum mit einem Tisch in der Mitte ein Ort des Wohlfühlens. Zahlreiche Kochbücher, diverse Schalen, Messer und Gewürze beleben die Küche – die Leidenschaft fürs Kochen liegt in der Luft.

«Ich habe mir gedacht: je mehr Text, desto besser.»

Zu Beginn der Unterhaltung stellt Elisabeth Bronfen gleich klar, dass es sich bei ihrem Buch nicht um ein gewöhnliches Kochbuch handle, was allein daraus deutlich wird, dass sich kein einziges Bild in dem knapp 500 Seiten umfassenden Werk findet. «Nach 25 Jahren intensiver Kocherfahrung möchte ich nicht nur meine Leidenschaft fürs Kochen, sondern auch mein Wissen weitergeben», sagt sie und betont, dass sie mit ihren Kochmemoiren auch didaktische Ziele formulieren und durchaus einen pädagogischen Auftrag erfüllen möchte. Auch aus diesem Grund sei das Buch narrativ gestaltet: «Ich habe mir gedacht: je mehr Text, desto besser, habe viel recherchiert und möchte auf diesem Wege mein Wissen und meine Erfahrungen weitergeben.» 

Ein Geschenk an sich selbst

Das Kochen ist für Elisabeth Bronfen eine «Zauberkunst», bei der man durchaus experimentieren kann. «Es gibt verschiedene Grundregeln, die man beherrschen sollte, und die ich im Buch auch erkläre – alles andere ist variabel, und Fantasie gefragt», sagt sie. Das Buch ist in vier Kapitel unterteilt, unter den Rubriken «Die kalte Speise», «Die Pfanne», «Der Topf» und «Der Ofen» finden die Leser grundlegende Informationen zu den unterschiedlichen Arten der Zubereitung. «Ich habe viel Persönliches fiktionalisiert», sagt Bronfen, «alle Geschichten stimmen in etwa, und daher steckt das Buch für mich voller Erinnerungen». Für die Recherche habe sie zahlreiche Essen bei sich veranstaltet, Freunde eingeladen, alte Rezepte erneut gekocht und sich an viele Gegebenheiten erinnert, die schon lange zurücklagen. «Ich habe meine Muse der Erinnerung angerufen», sagt sie und erzählt, dass das Kochen für sie nicht nur ein Geschenk an ihre Mitmenschen, sondern speziell auch an sich selbst sei. So heisst es in ihrem Buch: «Sich die Zeit zu nehmen, um regelmässig zu kochen, ist vor allem ein Geschenk an sich selbst: Man ist ganz bei sich.» Es sei zwar wichtig, eine gut organisierte Küche zu haben, ebenso bedeutend sei aber, «dass man sich eine gewisse Besessenheit zugesteht». So erscheint es der Autorin «traurig, sich nur beiläufig jeden Produkten zuzuwenden, die man verarbeitet, um nur einfach schnell am Herd etwas zusammenzuwürfeln».

«Warum sollte eine Frau nicht emanzipiert sein und gerne kochen?»

Sie selbst habe das Kochen aus zwei Gründen zur Priorität in ihren Alltag bestimmt. «Zum einen ist es mir wichtig, mich gut und gesund zu ernähren. Zum anderen komme ich beim Kochen zur Ruhe, ich finde zu mir selbst und vergesse den Alltag um mich herum.» Auch vor diesem Hintergrund hat es sie überrascht, dass jüngere Frauen teilweise nicht nachvollziehen können, weshalb die Professorin, die im Laufe ihrer Karriere auch zahlreiche Aufsätze über Genderfragen publiziert hat, nun ausgerechnet ein Kochbuch schreibt. Ob das für sie keinen Widerspruch darstelle, sei sie gefragt worden, berichtet Bronfen, und blickt verwundert. «Das Gegenteil ist der Fall, warum sollte eine Frau nicht emanzipiert sein und gerne kochen?» Und beiläufig erwähnt sie, dass man den Spiess ja auch umdrehen und behaupten könnte, kochen sei eine Machtfrage: Denn wer das Essen zubereite und bestimme, was auf den Tisch kommt, mache sich auf seine Art – gerade innerhalb der Familie – unentbehrlich. Abgesehen davon gäbe es für sie kaum etwas Schöneres, als Gäste einzuladen, gesellig mit ihnen zusammen zu sein und sie mit ihren Kochkünsten zu verwöhnen.

Kulinarische Leidenschaft

Wer gut kochen möchte, sollte gut planen und den Speiseplan stets aufs Neue durchdenken. Elisabeth Bronfen schreibt, dass selbst das, was sie in ihrer Küche spontan zubereite, von der «lustvollen Erfahrung der vielen anderen Speisen, welche ich sorgfältig durchdacht und ausführlich geplant habe», zehre. In der Einleitung ihres Buches heisst es: «Meine kulinarische Leidenschaft hat deshalb weniger damit zu tun, dass ich immer Lust habe, zu essen. Vielmehr möchte ich fast immer über das, was ich zubereiten könnte, nachdenken.» So stelle der Gang zum Kühlschrank – egal zu welcher Tageszeit – eine alltägliche Herausforderung dar. Denn: «Der Blick auf die Köstlichkeiten, die ich dort angesammelt habe, setzt bereits jede vorweggenommene Befriedigung in Gang, welche für mich beim Kochen immer auch mitschwingt.» Elisabeth Bronfen versteht ihre Art des Kochens als das, was man im Englischen «kitchen dinners» («Alltagsküche») nennt. Sie sieht Kochen als eine Frage der Lebenskunst, die es ihr erlaubt, ihr Alltagsleben auf ihre ganz eigene Weise zu gestalten. Ihre Kochmemoiren versteht sie als eine Mischung aus Grundrezepten und deren Abwandlungen. Sie schreibt: «Eigentlich sind Rezepte wie Alltagsmythen: Einheiten, nach Regeln arrangiert, die einen grossen Spielraum erlauben.» So bleibt die Arbeit in der Küche ein Abenteuer – bei dem auch mal was schiefgehen kann. Dann nicht Nerven zu verlieren, lehrt Bronfen in ihrem Buch auch – im Kapitel «Köstliches Desaster» gibt sie Tipps, wie in der Küche noch Lebensmittel gerettet werden können, wenn das Kochen mal nicht nach Plan verläuft.

Elisabeth Bronfen

Eine jüdische Familiengeschichte

Ihre Leidenschaft fürs Kochen sieht Elisabeth Bronfen mit ihrer eigenen Familiengeschichte verwoben – und mit den Erzählungen ihrer Eltern über ihr Verhältnis zum Essen. Ihr Vater wuchs als Sohn jüdischer Einwanderer aus Osteuropa in sehr einfachen Verhältnissen in Brooklyn auf. Seine Kindheitserinnerungen an eine grosse koschere Salami, die an einer Schnur an der Küchenwand für jedermann sichtbar befestigt war, waren prägend: sich ein Stück von ihr abschneiden zu dürfen, galt als Belohnung. Parallel zum wachsenden Wohlstand nahm auch die Leibesfülle des Vaters zu, der sein leibliches Wohl auch als Zeichen seines Erfolgs ansah. «Wenn ich in Paris war, habe ihm immer eine Rindswurst aus der Metzgerei Goldberg im Marais mitgebracht», erinnert sich Elisabeth Bronfen, die selbst nicht koscher kocht – auch ihr Buch ist «alles andere als koscher», wie sie lachend erzählt. Sie glaubt aber, dass die im osteuropäischen Judentum so typische Form der Geselligkeit sie stark geprägt habe: Zusammenzusitzen und miteinander zu essen, spielte stets eine grosse Rolle – besonders in der Diaspora: «Jüdische Emigranten fanden sich am Tisch bei gemeinsamen Mahlzeiten wieder. Auch wenn sie in der neuen Heimat an sich nichts hatten, so konnten sie doch mit der Familie beim gemeinsamen Essen eine alte Welt wachrufen.»

Diese Liebe fürs Essen, die Bronfen auch als typisch jüdisch-amerikanisch beschreibt, habe auch in ihrer Familie teilweise obsessive Züge angenommen. Das Thema Essen als emotionale Heimat sei aber gerade heute in Zeiten zunehmender Globalisierung und auch aufgrund der Flüchtlingsbewegung hoch aktuell. Und so sieht Elisabeth Bronfen die Geschichte ihrer Eltern als jene einer globalen Diaspora, die stellvertretend für viele andere stehen kann. «Eben weil viele Menschen nicht mehr dort leben, wo sie herkommen, werden Mahlzeiten, die man mit seinen Freunden teilt, zu einer emotionalen Heimat, 
die man immer wieder aufrufen, erneuern und jeder veränderten Situation anpassen kann», beschreibt sie in ihre Kochmemoiren – die sich auch aufgrund dieser kulturellen Betrachtungen klar von herkömmlichen Kochbüchern unterscheiden.

Elisabeth Bronfen: Besessen. Echtzeit Verlag, Basel 2017