Valerie Wendenburg

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Not, Einsamkeit und Sorge

Erschienen im jüdischen Wochenmagazin tachles am 9. Februar 2024

Jüdische Hochschullehrende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz spannen zusammen – innerhalb eines neuen Netzwerks wollen sie sich gemeinsam dem ansteigenden Antisemitismus entgegenstellen

Die Meldung lässt aufhorchen: Jüdische Hochschullehrer gründen ein Netzwerk, um gemeinsam Strategien gegen den ansteigenden Antisemitismus zu entwickeln und einander zu unterstützen. In der Medienmitteilung des Netzwerks jüdischer Hochschullehrender in Deutschland, Österreich und der Schweiz heisst es: «Zahlreiche jüdische Studierende, Lehrende und andere Hochschulangehörige fühlen sich an ihren Hochschulen nicht mehr sicher.» Einige würden gar dem Campus fernbleiben, mit Personenschutz arbeiten oder ihre jüdische Identität gar verstecken. Seit dem 7. Oktober sei die Situation beunruhigend, da der Antisemitismus auch an Hochschulen «dramatisch» zugenommen habe.

Studierende schützen

Die Situation scheint allerdings in Deutschland drastischer zu sein als hierzulande. Al-fred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien in Basel, gehört zu dem Netzwerk. Er berichtet von einem konstruktiven Austausch innerhalb der Gruppe. Sein Blick ist vor allem nach Deutschland gerichtet: «Ich merke, dass die Situation an den Universitäten dort viel virulenter ist als in der Schweiz», sagt er zu tachles. Er spüre unter den Hochschullehrenden Not, Einsamkeit und Sorge vor Ausgrenzung. «Ich habe in der Schweiz nach dem 7. Oktober viel Solidarität erfahren, aber das scheint meinen Kollegen in Deutschland anders zu gehen», sagt Bodenheimer. Innerhalb einer WhatsApp-Gruppe des Netzwerks herrsche nun ein reger Austausch vorab von Kollegen aus Deutschland und Österreich. «Noch sind wir am Anfang in der konzeptionellen Phase. Klar ist, dass wir auch überlegen, wie die jüdischen Studierenden geschützt werden können, denn sie sind das schwächste Glied im universitären Betrieb.» Damit spielt er auch auf den Vorfall in Berlin an, bei dem ein jüdischer Student von einem Kommilitonen krankenhausreif geschlagen worden ist.

Neben Alfred Bodenheimer ist unter anderem auch der Historiker Simon Erlanger in dem Netzwerk, insgesamt sind es rund 70 Hochschullehrende. Sie setzen sich gemeinsam zum Ziel, das Bewusstsein für den «grassierenden Antisemitismus, insbesondere auch den israelbezogenen Antisemitismus, an Hochschulen zu schaffen». Es sollen effektive Konzepte zum Kampf gegen Antisemitismus und für das jüdische Leben an Hochschulen und in der Forschung erarbeitet werden. Geplant sind hochschulübergreifende Veranstaltungen und Studien, die Themen des jüdischen Lebens und der jüdischen Identitäten beinhalten. Dies immer mit dem Ziel, dem Antisemitismus entgegenzuwirken.

Ein sicherer Ort

Eine der Gründerinnen des neuen Netzwerks ist Julia Bernstein, Professorin für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Science. Sie sagt gegenüber «Spiegel», das Netzwerk solle einen «sicheren Ort» bieten, in dem Betroffene sich austauschen und unterstützen können. «Die pädagogische oder akademische Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus ist wichtig. Jetzt geht es allerdings erst mal darum, Sicherheit für jüdische Akteure zu gewährleisten, an den Hochschulen und natürlich auch darüber hi-naus.» Stehen die jüdischen Wissenschaftler mit ihren Sorgen alleine da? Sie hoffen offenbar auch auf universitäre Unterstützung. In der Medienmitteilung bekräftigen sie ihren Willen, gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz Wege zu suchen, um die Ziele des Netzwerks umzusetzen. In der Gruppe selbst sind ausschliesslich Jüdinnen und Juden. Sogenannte Gäste, «die sich der Sache besonders eng verbunden fühlen», sind aber eingeladen, sich mit dem Netzwerk in Verbindung zu setzen und das Anliegen zu unterstützen.