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Sehnsucht nach der Sehnsucht
Meine Ehe begann mit einer Fernbeziehung. Wenn mir damals jemand prophezeit hätte, dass wir knapp zehn Jahre später Tag und Nacht ununterbrochen miteinander verbringen würden, hätte ich das für eine etwas unheimliche Vision gehalten. Heute ist es Realität. Home-Office-Pflicht, Lockdown: Mein Mann und ich sind fast immer zuhause, wie die meisten unserer Bekannten auch. Manchmal träume ich davon, mich wieder in die Vergangenheit zu beamen.
Ich sehne mich nach der Sehnsucht in unserer Beziehung, denke an die betrübten Abschiede an Flughäfen und an unbeantwortete Anrufe, die mich nervös machten. An die steigende Aufregung vor dem langersehnten Wiedersehen. Die knapp bemessene und kostbare Zeit haben wir bewusst genossen. «Quality time» nannten wir das damals. Würde man den Begriff nach gemeinsam verbrachter Zeit definieren, so würden wir uns seit gut einem Jahr «Quality time pur» erleben. Es fühlt sich aber anders an.
Wir haben kaum mehr die Chance, einander zu vermissen oder uns aufeinander zu freuen. Meine Nachbarin, etwas über 70 Jahre alt, sagte neulich schmunzelnd zu mir: «Jetzt geht es dir so wie mir damals, als mein Mann in Rente ging.» Auch wenn der Vergleich natürlich hinkt, wir sind ja beide berufstätig, hat mich ihre Aussage nachdenklich gemacht. Sie stimmt insofern, als dass wir plötzlich omnipräsent und allgegenwärtig füreinander sind. Im Gegensatz zum Renterdasein haben wir im Moment nicht einmal mehr die Möglichkeit, Kinos, Theater, Museen oder auch einfach nur Geschäfte in der Stadt zu besuchen, um uns abzulenken und mit neuen Inspirationen und Gedanken nach Hause zu kommen.
«Jetzt geht es dir so wie mir damals, als mein Mann in Rente ging.»
Paarleben in der Pandemie
Paare in Zeiten von Corona sind dazu verdammt, Tag für Tag miteinander auszukommen ohne der Situation wirklich entfliehen zu können. Um keine totale Nabelschau zu betreiben, gehe ich seit Wochen spazieren oder in den Keller, wenn ich mit meiner Freundin telefoniere. Für unsere Tochter ist der Ausnahmezustand bereits normal. Wenn sie aus der Primarschule kommt, sind wir beide für sie da. Neulich war mein Mann ausgeflogen. Als er nach zwei Stunden noch nicht wieder zu Hause war, fragte unsere Tochter ganz unsicher: «Aber wann kommt Papi denn wieder?». Ich habe sie gefragt, ob sie sich daran erinnern könne, dass ihr Vater früher jeden Tag bis abends im Büro war. Sie sah mich ungläubig und ein wenig ängstlich an und schüttelte mit dem Kopf.
Für sie ist die permanente Anwesenheit beider Eltern offensichtlich ein Gewinn. Aber für uns als Paar? Wir kommen recht gut durch diese Zeit, weil wir nach einigen Monaten beschlossen haben, uns bewusst Quality time im Pandemie-Alltag zu gönnen. In einem ersten Schritt bin ich für zwei Tage alleine in die Berge gefahren. Abends habe ich meinem Mann Nachrichten geschrieben und auf seine Antwort gewartet. Ich habe ihn vermisst und eine Ahnung von dem Gefühl zurückbekommen, wie es früher einmal war. Um uns wieder mit Bedacht wahrzunehmen und nicht nur über die alltäglichen Vorkommnisse miteinander zu kommunizieren, schaffen wir uns gemeinsame Zeit zu zweit.
«Wir haben kaum mehr die Chance, einander zu vermissen oder uns aufeinander zu freuen.»
Romantik zu Hause planen, geht das?
Wir kochen uns bewusst ein schönes Essen zu zweit oder schauen einen Film, den wir lieben – oder einen, den wir schon immer einmal sehen wollten. Natürlich tun wir dies im Wohnzimmer auf unserem grünen Sofa und nicht in roten Plüschsesseln mit Popcorn in der Hand. Wir legen die Telefone beiseite und kreieren uns gemeinsame Wohlfühl- und Sehnsuchtsmomente. Um einen Hauch von dem zu spüren, was vor Corona war. Gute Filme helfen und mit ihnen entfliehen wir gemeinsam gedanklich aus dem Alltag. Es gelingt und fühlt sich sogar besser an als die schon schmerzlich vermisste Fernbeziehung.