Valerie Wendenburg

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Suche nach fairen und gerechten Lösungen

Erschienen in der jüdischen Wochenzeitung tachles am 27.Januar 2023

Sie geht mit positivem Beispiel voran: Die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) hat eine Unabhängige Kommission zur Klärung NS-verfolgungsbedingter Ansprüche gegründet und die Kommissionsmitglieder diese Woche bekannt gegeben. Ziel ist es, Ansprüche von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern zu prüfen, die sich im Besitz der Sammlung der SKKG befinden.

Eine weltweite Premiere
Bemerkenswert ist, dass die Unabhängige Kommission künftig Weisungen an die SKKG gibt, die verbindlich sind. Sie gibt somit nicht nur Empfehlungen, sondern entscheidet. Ihre Entscheide trifft die Kommission selbstständig und unabhängig vom Stiftungsrat und der mit der Provenienzabklärung betrauten Einrichtung. Wie Andrea Raschèr, designierter Präsident der Unabhängigen Kommission, am Dienstag vor den Medien betonte, soll die Kommission neben juristischem, ethischem, kulturellem und geschichtlichem Hintergrund auch religiös divers aufgestellt sein. Neben dem Experten im Bereich Kunstrecht und Kulturpolitik Andrea Raschèr, der auch Mitglied der Schweizer Delegation an der Washingtoner Konferenz 1998 war, sind neu in der Kommission: Constantin Goschler, Professor für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum, Claudia Kaufmann, Juristin und ehemalige Ombudsfrau der Stadt Zürich, Stefanie Mahrer, Professorin am Historischen Institut der Universität Bern, und der Rechtsanwalt und Experte im Restitutionsrecht Olaf Ossmann. Pro Amtszeit wird sich die Kommission aus fünf bis sieben Personen zusammensetzen, eine einmalige Wiederwahl für weitere drei Jahre ist möglich. Andrea Raschèr sagt gegenüber tachles: «Die Unabhängige Kommission SKKG ist eine Premiere und in dieser Form für Eigentum einer Privatstiftung weltweit noch einzigartig. Es wird strikt getrennt zwischen Provenienzforschung und Entscheidung. Die Entscheide der Kommission sind für die Stiftung verbindlich und durchsetzbar. Und ich freue mich, dass ich mit Kolleginnen und Kollegen in der Kommission zusammenarbeiten darf, die nicht nur fachlich, sondern auch menschlich das Dream-Team für diese verantwortungsvolle Aufgabe sind.»

© Bruno Augsburger / SKKG

Die SKKG mit Sitz in Winterthur wurde 1980 durch den Immobilienbesitzer Bruno Stefanini (1924–2018) gegründet. In der Sammlung befinden sich mehr als 85 000 Objekte, darunter rund 6000 Gemälde. Von ihnen werden in der aktuellen Initiierungsphase, die noch bis Dezember 2024 andauert, maximal 700 vom Team Provenienzforschung geprüft. Dabei werden vor allem Werke mit Handwechsel zwischen 1933 und 1945 untersucht.

Faire und gerechte Lösungen
Die Ergebnisse der Recherchen der Provenienzforschung bilden die Grundlage für die Entscheidungsfindung innerhalb der Unabhängigen Kommission. Sie erhält eine vollständige Dokumentation über jedes Gemälde – unabhängig davon, ob es sich um als problematisch oder unproblematisch eingestuftes Kulturgut handelt. Die unabhängige Kommission formuliert daraufhin den Entwurf einer Entscheidung, der sowohl der Stiftung wie auch etwaigen Anspruchstellenden zur Stellungnahme vorgelegt wird. Etwaige Rückmeldungen auf den Entwurf fliessen anschliessend in die Begründung der Entscheidung ein. Wichtig ist, dass nicht ausschliesslich über die Restitution eines Kulturguts entschieden werden kann, sondern auch andere Lösungen gefunden werden können, wenn die Kommission diese als faire und gerechte Lösung für jeden einzelnen Fall bestimmt. Grundsätzlich ist die unabhängige Kommission den Richt-linien der Washingtoner Konferenz von 1998, der Erklärung von Terezín von 2009 sowie den Ethischen Richtlinien für Museen vom Internationalen Museumsrat ICOM von 2004 verpflichtet. Entscheidungen können auch bei lückenhafter Provenienz aufgrund von Hinweisen auf einen NS-verfolgungsbedingten Entzug getroffen werden. Ganz grundsätzlich gilt laut SKKG: «Historisches Unrecht kann nicht ungeschehen gemacht werden, weder durch Restitution von Kulturgütern noch durch andere faire und gerechte Lösungen. Hingegen stellen sowohl die hierzu notwendige Begegnung und der Austausch als auch die mit der Rückgabe bzw. anderen gerechten Lösungen verbundene Anerkennung der Leidens- und Verfolgungsgeschichte und eine nachhaltige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ein Bekenntnis zur Bereitschaft dar, Konsequenzen für die Zukunft daraus zu ziehen.» Mit der Gründung der Unabhängigen Kommission geht die SKKG einen ersten und wichtigen Schritt in diese Richtung – und kann damit auch ein Beispiel für die Stiftung Sammlung E. G. Bührle oder für die nationale und unabhängige Kommission für Raubkunst sein, die der Bundesrat laut Parlament schaffen soll.