Valerie Wendenburg

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Von der Suche nach dem Glück

Erschienen im jüdischen Wochenmagazin tachles am 6. März 2015.

Sie wirkt entspannter, als vermutet: Olga Grjasnowa, leger gekleidet mit Jeans und einem schwarzen Pullover, rührt in ihrem Tee und entspricht in ihrer gelassenen Art so gar nicht der Frau, als die sie oft beschrieben wird: «Rastlos» oder «immer auf dem Sprung» sind auch einige Formulierungen, die sicher auf die Protagonistinnen in ihren Romanen zutreffen, aber kaum auf die junge Autorin, die mit ihrer Lesung im Literaturhaus in Basel gerade einen dreimonatigen Aufenthalt in der Schweiz beendet. Sie wurde für ein Stipendium im Atelier Müllerhaus in Lenzburg ausgewählt und nutzte die Zeit, «diesen wunderschönen Herbst in der Schweiz», vor allem zum Lesen und Recherchieren. Somit hat Olga Grjasnowa fernab von ihrer Heimat Berlin die Neuerscheinung ihres neuen Romans «Die juristische Unschärfe einer Ehe» und die Kritiken darauf erlebt. Hinsichtlich der positiven Kritik, die auch ihr zweites Buch erfährt, kann sie durchaus gelassen sein. Dennoch – was die Autorin immer wieder verärgert, ist die Ausgrenzung, die sie auf Lesereisen spürt, wenn es um ihre Herkunft geht. «Die Leute fragen mich nach Lesungen immer wieder, wie es denn komme, dass ich so gut Deutsch schreiben könne», erzählt sie. «In welcher Sprache bitte soll ich denn sonst schreiben?», fragt die 30-Jährige, die nun schon fast 20 Jahre ihres Lebens in Deutschland lebt. «Ich empfinde solche Äusserungen als rassistisch, auch wenn sie bewundernd ausgedrückt werden.» Teilweise würden Leser ihrer Bücher ihr sogar anhand von Textpassagen nachweisen wollen, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache sei, weil sie nicht in verschachtelten Sätzen schreibe. Ein für Grjasnowa absurder Vorwurf, da sie ihre Wörter bewusst wählt und kurze, prägnante Sätze gerade typisch für ihre Art zu schreiben sind.

Olga Grjasnowa (© Wikipedia)

Zu Hause in Berlin

Seit rund fünf Jahren lebt Olga Grjasnowa in ihrer Wahlheimat Berlin, wo sie sich «sehr zu Hause» fühlt, wie sie erzählt. Anders als Mascha oder Leyla in ihren Büchern, ist sie nicht auf der Suche nach ihrer Identität oder getrieben von der Sehnsucht nach ihrer Heimat. Den Wunsch zurückzukehren habe sie «nicht mehr», sie fühle sich in Berlin sehr wohl. Aber das Gefühl der Suche kenne sie natürlich von früher. Heute reist sie zwar gerne nach Aserbaidschan, aber ohne Wehmut – ihre Familie lebt auch nicht mehr dort. «Alle ausser meiner engsten Familie sind nach Israel ausgewandert», erzählt sie. Dort sei sie sehr oft zu Besuch gewesen, in der Siedlung, in der ihre Verwandten sich niedergelassen haben. Sie liebe Tel Aviv, erzählt sie und räumt ein, dass sie zurzeit seltener nach Israel fahre, da ihre dort ansässige Familie nicht akzeptiere, dass sie in Kürze ihren syrischen Freund heiraten wolle, mit dem sie nun in Berlin zusammenzieht. Damit ist Grjasnowa eigentlich auch schon beim Thema ihres neuen Buches «Die juristische Unschärfe einer Ehe» angelangt.

Wer sagt denn, dass Frauen nur Männer und Männer nur Frauen lieben?

In ihrem Roman treffen Menschen verschiedener Herkunft, Religion und sexueller Ausrichtung aufeinander, und es scheint auf den ersten Blick ein bisschen so, als sei alles möglich – die Probleme bleiben aber natürlich nicht aus. So führen Leyla und Altay eine Scheinehe – sehr gut befreundet haben sie, die beide homosexuell sind, beschlossen, zu heiraten. Was vor allem geschah, um die Eltern zu beruhigen, entwickelt sich zu einer Beziehung zweier Menschen, die sich lieben, wenn auch auf etwas andere Weise als es «normal» scheint. Und doch wird ihre Beziehung von einer dritten Person ins Wanken gebracht. Aber was ist überhaupt «normal»? «Wer sagt denn, dass Frauen nur Männer und Männer nur Frauen lieben?», fragt Grjasnowa. «Ich glaube, nur eine Minderheit der Menschen ist ausschliesslich homo- oder heterosexuell». Für sie ist ihr Buch daher auch ein «klassischer Eheroman». Ihr geht es darum, aufzuzeigen, dass die Menschen stets auf der Suche sind – so auch auf der Suche nach Liebe. Ob sie einen Mann oder eine Frau lieben, ist zweitrangig, es geht vielmehr darum, einen Halt zu finden. «Alle Menschen sind immer wieder auf der Suche nach dem perfekten Leben, nach dem richtigen Haus, dem richtigen Beruf oder dem richtigen Partner. Unser Leben ist im Grunde eine einzige Suche nach dem persönlichen Glück – das geht schon seit Jahrhunderten so», erklärt Grjasnowa ihr Sujet.

Recherche als Leidenschaft

Verglichen mit den Menschen in ihren Büchern, die ohne Pause und fast atemlos nach Anerkennung und Halt suchen, wirkt Grjasnowa sehr geerdet, fast so, als würde das Aufsehen, das sie mit ihren Büchern erweckt, sie nichts angehen. Nach ihrem ersten, hoch gelobten Roman sei es ihr nicht schwer gefallen, ein weiteres Buch zu schreiben, erklärt sie: «Kritik ist etwas, das ich gar nicht so sehr mitbekomme. Kritik hat kaum etwas mit meinem wirklichen Leben und mit meinem Schreiben zu tun.» Sie sei nicht darauf aus, bekannt zu werden und geniesse es sehr, dass sie in Berlin nicht mal in einem Buchladen erkannt werde. Schreiben sei ihr Lebensinhalt, und wenn sie sagt: «Ich kann ja auch nichts anderes», dann scheint sie sich ihres schriftstellerischen Könnens durchaus bewusst zu sein. Recherche bezeichnet sie als eine ihrer Leidenschaften, und so wirken die Szenen in ihren Büchern – zum Beispiel der beschriebene Pogrom in Baku 1990 – so, als hätte die Autorin alles selbst erlebt. «Nein, das habe ich alles recherchiert», sagt Grjasnowa, und fügt an, dass sie nicht in der Lage sei, über selbst erlebte Dinge zu schreiben. Wenn schlimme Dinge mit mir zu tun haben, dann wäre ich viel zu selbstmitleidig, um mit Abstand darüber zu berichten.»

Noch hat Olga Grjasnowa noch nicht mit einem weiteren Buch begonnen, aber sie sagt selbstbewusst: «Nach der Lesereise wahrscheinlich. Dann bin ich wahrscheinlich wieder offen für ein neues Buch.» Eine Idee habe sie schon, verraten möchte sie aber noch nichts. «Ich habe immer ein Konzept im Kopf und Geschichten, die ich in meinem Umfeld sehe und erlebe. Dies ist dann das Gerüst für einen neuen Roman – aber darauf folgt eine lange Recherche. Die Protagonisten haben dann auch nichts mehr mit meinen Bekannten zu tun, reale Personen wären mir viel zu unberechenbar», sagt Grajsnowa. Sie sieht ihrer literarischen Zukunft aber offensichtlich gelassen entgegen und somit können sich ihre Leser auf weitere Lektüre von Olga Grjasnowa freuen.

Olga Grjasnowa: Die juristische Unschärfe einer Ehe. Hanser Verlag, Berlin 2014.