Valerie Wendenburg

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Warum Auszeiten für Mütter so wichtig sind

Erschienen im Blog des Elternmagazins Fritz und Fränzi am 30. Januar 2023

Mein Koffer ist gepackt, er ist leicht und klein und nur für mich allein. Für ein Wochenende fahre ich mit einer Freundin nach Mailand, einfach so. Um auszuspannen. Wie ein Kind freue ich mich schon jetzt auf die Reise – statt Uno und Rummy Cup habe ich ein gutes Buch und einen Notizblock im Gepäck. Ich freue mich aufs Ausschlafen, auf lange Gespräche ohne Unterbrechung und darauf, mich an einen gedeckten Tisch zu setzen. Das kann ich zuhause auch gelegentlich tun, aber meistens springe ich dann doch mehrmals auf oder stelle im Anschluss das Geschirr in die Maschine. Kleine Auszeiten von der Familie und vom Alltag nehme ich mir ab und zu – denn sie sind mir ein echtes Bedürfnis.

Zeit für sich allein
Wie wichtig diese Momente für mein Seelenheil sind, ist mir erneut klar geworden, als ich vor wenigen Tagen die E-Mail einer jüngeren Bekannten erhalten habe, die kleine Kinder hat und nun wieder anfängt zu arbeiten. Sie schreibt, sie versuche gerade, den Spagat zu meistern, «neben dem Mutter-Sein auch wieder arbeiten zu gehen». Darauf folgt ein Satz, der mich bestürzt hat: «Manchmal denke ich, dass ich egoistisch bin, wenn ich hadere, weil ich so gut wie keine Zeit für mich habe.»

Ich erinnere mich, dass es mir genauso erging, als meine drei Söhne klein waren. Ich engagierte tagsüber eine Babysitterin, damit ich mich einfach mal für einige Stunden in einen Buchladen setzen, lesen und abschalten konnte. Diese kurze Auszeit war mein Highlight der Woche, ich kam ausgeglichen nach Hause und freute mich auf meine Kinder. Nach mehr als 20 Jahren Erfahrung weiss ich: Ab und zu brauche ich eine echte Pause vom Familienalltag. Anfangs hatte ich deshalb ein schlechtes Gewissen, und ich würde vieles darum geben, wäre das Buch von Franziska Schutzbach «Die Erschöpfung der Frauen – Wider die weibliche Verfügbarkeit» (2021) schon erschienen, als meine Kinder klein waren. Das Buch zeigt nicht nur auf, weshalb wir Frauen oft erschöpft vom Alltag sind, sondern es macht deutlich, dass unsere Erschöpfung keine persönliche Schwäche, sondern das Resultat der gängigen gesellschaftlichen Strukturen ist. Noch immer leisten Frauen weltweit und natürlich auch in der Schweiz den grössten Teil der sogenannten Care-Arbeit. Das ist auch in meinem privaten Umfeld so: auch wenn die Partner mithelfen, sich um die Kinder kümmern, kochen oder den Rasen mähen, liegt die mentale Dauerbelastung («Mental-Load») vor allem bei den Frauen.

Frauen arbeiten «doppelte Schichten»
Ein Beispiel: Mein Mann und ich machen beide an verschiedenen Tagen Homeoffice. Wenn er zu Hause ist, kocht er mittags für unsere Tochter. Oft ruft er mich gegen 12 Uhr 30 an und sagt: «Ich habe ihre Lieblingssauce gemacht» oder «Ich war eben noch schnell einkaufen». Er meint es gut und möchte mir Bescheid geben, dass alles läuft. Mich aber reissen diese Nachrichten jedes Mal aus meiner Arbeit, ich sehe den gefüllten Einkaufswagen bildlich vor mir und brauche eine kurze Weile, um wieder weg vom häuslichen Mittagstisch zu sein, an den ich an dem Tag gar nicht denken wollte. In Momenten wie diesen habe ich den Eindruck, Ansprechpartnerin für alles zu sein, egal, wo ich mich gerade befinde. Ich bekomme auch immer mal wieder WhatsApp-Nachrichten von meinen Söhnen ins Büro, in denen sie fragen: «Wo sind meine Schienbeinschoner?» oder «Wann muss ich nochmal zum Zahnarzt?». Diese permanente Verfügbarkeit ist erschöpfend. Nach wie vor werden rund 75 Prozent der Sorgearbeit in Familien und im Haushalt von Frauen übernommen – trotz gleichzeitiger Erwerbstätigkeit. Viele Frauen arbeiten daher «doppelte Schichten», wie Franziska Schutzbach schreibt: tagsüber im Beruf und nach Feierabend zu Hause. Nachdem die Kinder im Bett sind, erledigen sie die Wäsche, bestellen Geschenke für Geburtstagspartys, organisieren Laufgruppen für die Kinder oder telefonieren mit den eigenen Eltern.

Ein Wochenplan als Lösung?
Neulich hat mein 21-jähriger Sohn mir einen Wochenplan für die Küchenwand geschenkt, auf dem ich täglich verschiedene Aufgaben im Haushalt notieren und an andere Familienmitglieder delegieren kann. Er hat ganz offensichtlich das Gefühl, die Hausarbeiten seien bei uns nicht gerecht aufgeteilt. Ich habe aufgehört, mich zu rechtfertigen, wenn ich Zeit für mich einfordere. Tatsächlich ist es oft so, dass ich schnell noch Dinge erledige. Es erscheint mir meist einfacher, als meinen Mann und die Kinder um etwas zu bitten, dann zu schauen, ob es auch wirklich gemacht wurde und sie erneut daran zu erinnern. Der neue Plan könnte die Lösung sein, wenn er gut sichtbar platziert wird. Denn wenn Tätigkeiten wie «Grüntonne vor die Tür stellen» oder «staubsaugen» dort festgehalten werden, sollte doch jeder in der Familie wissen, was wann zu tun ist.

Delegieren heisst auch Kontrolle abgeben
Ich habe aufgehört, mich zu rechtfertigen, wenn ich Zeit für mich einfordere. Diese «Me-Time» ist wichtig, denn die dauernde mentale Verfügbarkeit gewährt uns Frauen nur wenig Pausen, es bleibt (zu) wenig Zeit für uns selbst – so wie es die junge Mutter in der Mail an mich schreibt. Es liegt auch an uns Müttern, dies zu ändern. Wir sollten unser schlechtes Gewissen ablegen, wenn wir Hausarbeit und Kinderbetreuung an die Partner delegieren und diese auch mehr einfordern. Die Kunst ist es, dann auch wirklich loszulassen und nicht zu kontrollieren, ob alles genauso läuft, wie frau sich das vorgestellt hat – denn das ist für beide Seiten frustrierend. Delegieren bedeutet, Freiräume zu schaffen und dem anderen das Vertrauen geben, dass er die Aufgabe erledigen kann. Delegieren bedeutet, Aufgaben und Verantwortung an andere abzugeben. Sich Freiräume zu schaffen und dem anderen das Vertrauen geben, dass er die Aufgabe erledigen kann. Auf diese Weise kann eine wirklich gleichberechtigte Arbeitsteilung gelingen und für alle Seiten befriedigend sein. Ich habe hier noch Spielraum nach oben und hoffe auf die Unterstützung des Wochenplaners. In die Felder des kommenden Wochenendes schreibe ich bei mir «Off». Ich packe meinen Koffer und zweifle keine Sekunde daran, dass zu Hause auch ohne mich alles läuft – während ich eine kleine Auszeit nehme und meine Batterien fürs Familienleben wieder auflade.