Internationaler Tag der Kinderrechte
Wie gut kennen Sie die Kinderrechte?
Erschienen im Eltermagazin «Fritz und Fränzi» am 20. November 2022
Stolz sagt meine Tochter: «Guck mal, Mami, es ist jetzt genau Viertel vor acht». Sie hat endlich gelernt, die Uhr zu lesen. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen und denke: höchste Zeit zum Schlafengehen für die Kleine. Sie aber schaut mich verschmitzt an und antwortet: «Ich kann jetzt nicht schlafen, ich spiele gerade.»
Als ich dieses Argument nicht gelten lassen möchte, erwidert sie: «Spielen ist ein Kinderrecht, weisst du das nicht?».
Seitdem in der zweiten Klasse das Thema Kinderrechte auf dem Unterrichtsplan meiner Tochter steht, habe auch ich viel Neues dazugelernt. Immer wieder werde ich nun auf ihre Rechte hingewiesen, was den Alltag und das Ins-Bett-bringen nicht einfacher macht. Gleichzeitig bin ich erstaunt, denn dafür, dass die UN-Konvention über die Rechte des Kindes schon vor 33 Jahren verabschiedet wurde, sind wir oft noch weit davon entfernt, diese umzusetzen – auch in der Schweiz.
Mitreden und Geheimnisse haben
Neben dem Recht, zu spielen, gefällt meiner Tochter das Kinderrecht, Geheimnisse zu haben, besonders gut. Tatsächlich haben Kinder ein Recht darauf, dass ihre Würde und ihr Privatleben geachtet werden. An ihrer Zimmertür hängt also neuerdings ein Schild mit den Grossbuchstaben: «Geheim. Nicht stören!»
Mitbestimmen zu dürfen, ist nun ein grosses Thema bei uns. Alles wird ausdiskutiert und auch wenn meine Nerven manchmal blank liegen, hat meine Tochter recht: Bei Fragen, die sie selbst betreffen, dürfen Kinder mitreden. Ich merke: Es ist nicht immer einfach, die Kinderrechte im Detail umzusetzen. Und obgleich in der Schweiz einige der Kinderrechte wie in Frieden zu leben, gesunde Nahrung zu erhalten, zur Schule zu gehen oder medizinisch versorgt zu werden selbstverständlich scheinen, könnte so einiges noch besser laufen.
Ohrfeigen und Liebesentzug
Auch wenn es schwer vorstellbar ist: Hierzulande gehören ein Schlag auf den Po, das Schütteln von Kindern oder auch Ohrfeigen zum Alltag in vielen Familien. Fast die Hälfte der Schweizer Eltern wenden körperliche oder psychische Gewalt gegen ihre Kinder an.
Dies zeigt eine aktuelle Studie der Universität Freiburg, in der von 1013 befragten Eltern 40 Prozent zugaben, schon einmal eine Körperstrafe angewendet zu haben.15 Prozent der Eltern haben ihr Kind schon mit der Hand auf den Po geschlagen, sieben Prozent verteilen Ohrfeigen. Fast jeder sechste Elternteil greift in der Erziehung auf psychische Gewalt in Form von Beschimpfungen oder Liebesentzug zurück. Das Fatale daran ist, dass das Schweizer Gesetz Körperstrafen nicht explizit verbietet – es sei denn, sie führen zu sichtbaren Schäden. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass Ohrfeigen oder leichte Schläge erlaubt sind. Einige Politiker setzen sich daher dafür ein, dass das Recht auf gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetz verankert wird – so wie es auch in den Kinderrechten festgeschrieben ist.
Gleichbehandelt werden
Das Netzwerk Kinderrechte Schweiz überprüft die Umsetzung der Kinderrechte regelmässig. Es bestätigt in seinem NGO-Bericht, dass die Kinderrechte bisher «ungenügend umgesetzt» sind. Neben der Feststellung, dass Gewalt in Schweizer Familien Alltag ist, weist der Bericht besonders darauf hin, dass die rund 260’000 Kinder, die an der Armutsgrenze leben, stark benachteiligt sind.
Denn diese Kinder sind nicht nur materiell benachteiligt, sie werden im Alltag auch sozial ausgegrenzt und haben schlechtere Bildungschancen. Besonders schwer haben es geflüchtete Kinder in der Schweiz. Das Netzwerk Kinderrechte Schweiz hat gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen einen Kinder- und Jugendbericht publiziert.
Darin fordert die nächste Generation ein Mitspracherecht, sowohl innerhalb der Familie wie auch in Schule und Politik. Ins Auge stechen auch die Themen Chancengerechtigkeit und Gleichberechtigung. Die Kinder fordern: jedes von ihnen muss gleichbehandelt werden. Konkret sollen alle Kinder und Jugendlichen eine Chance auf Bildung haben und gleich am sozialen Leben teilhaben können.
Kinder stärken
Wie können sich Eltern, Lehrpersonen und Menschen, die Umgang mit Kindern haben, für die Rechte der Kinder einsetzen? Die Möglichkeiten sind gross, wenn wir uns in unserem eigenen Umfeld dafür stark machen. Wir können die Selbstständigkeit der Kinder fördern, ihnen vertrauen und ihre Meinung ernst nehmen.
Ihnen Raum geben, zu spielen und sie vor allem gewaltfrei erziehen. Wir Erwachsenen können die Kinder und Jugendlichen über ihre eigenen Rechte aufklären. Viele Lehrpersonen vermitteln die Kinderrechte bereits im Unterricht. Um ihnen die Arbeit zu erleichtern, gibt es verschiedene Organisationen, die kostenloses Lehrmaterial zum Thema Kinderrechte zur Verfügung stellen.
Meine Tochter ist ein gutes Beispiel: Wenn Kinder sich mit ihren eigenen Rechten beschäftigen und diese kennen, fühlen sie sich selbstsicher und gestärkt. Das Thema kann an jedem Tag – und nicht nur in der Schule – beim Spielen, Lernen oder während eines Familienausflugs vermittelt werden. Kinder haben ein Recht darauf.
Neues Lehrmaterial für Schulen
Pünktlich zum internationalen Tag der Kinderrechte am 20. November 2022 präsentieren die Organisationen Stiftung Kinderdorf Pestalozzi, Integras sowie die Allianz terre des hommes schweiz / Terre des hommes Suisse kostenlose pädagogische Tools unter dem Titel «Kinderrechte: Kennst du sie?» für Lehrpersonen in der ganzen Schweiz. Das Ziel ist es, Kinder und Jugendliche für ihre Rechte zu sensibilisieren und die Lehrpersonen zu unterstützen. Dieses Jahr liegt der Fokus auf dem Thema «Chancengerechtigkeit und Gleichberechtigung». Die neuen Unterrichtmaterialen werden Lehrpersonen kostenlos in den drei Landessprachen hier zur Verfügung gestellt.