Valerie Wendenburg

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«Wir geraten in ein hochgefährliches Fahrwasser»

Wegen «besorgter jüdischer Bürger» lehnt der Kanton Baselland eine Subvention der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace ab – doch sind jüdische Bürger wirklich besorgt? 

Der Sitz von Swisspeace im Basler Khaus

Der Baselbieter Landrat lehnt es ab, die Schweizerische Friedensstiftung Swisspeace von 2024-27 finanziell zu unterstützen. Dieser Entschluss von Mitte Dezember kam unerwartet. Im Vorfeld der Entscheidung galt als gesichert, dass der Kanton Swisspeace jährlich 100’000 Franken zahlt, es stand sogar ein Antrag im Raum, die Gelder auf 200’000 Franken zu erhöhen. Kurz vor der Landratssitzung aber änderten einige Politiker plötzlich grundlegend ihre Meinung und die Stimmung kippte. Mit knapper Mehrheit wurde der Antrag für Gelder an die Friedensstiftung abgelehnt. Was ist passiert?

Jüdische Bürger 
Im Protokoll des Landrats ist zu lesen, dass viele Landrätinnen und Landräte von «besorgten jüdischen Bürgern angerufen und explizit auf die antiisraelische Gesinnung von Leuten an der Spitze von Swisspeace hingewiesen» wurden. Hintergrund: Der Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel äusserte sich im Oktober im SRF-«Club» skeptisch gegenüber den Auswirkungen eines Hamas-Verbots in der Schweiz. Zudem vertrat er die Meinung, ein «Ein-Staaten-Modell» könnte eine Lösung im Nahostkonflikt und ein Ausweg aus der heutigen Situation sein. Der Swisspeace-Direktor verurteilte den Terrorangriff der Hamas deutlich. Dennoch riefen seine Äusserungen offenbar «besorgte jüdische Bürger» auf den Plan.

Ein Marschhalt
Stefan Degen, FDP-Landrat, sagt auf Nachfrage zu tachles, dass sich «erst kurz vor der bezeichneten Landratssitzung» eine jüdische Privatperson bei ihm gemeldet habe, die ihm «problematische Sachverhalte von Swisspeace» erläutert habe, «vor allem in Bezug auf Aussagen der Leitungsspitze». Degen habe diese Bedenken «zur Validierung» an weitere Landräte weitergeleitet. Auf die Frage, aus welchem Grund er sich während der Sitzung auf die «besorgten jüdischen Stimmen» berufen habe, sagt er: «Die Thematik war für mich erstens neu und zweitens schwierig, innerhalb weniger Stunden zu erhärten. Damit habe ich also eigentlich die Aussage einer Drittperson deklariert.» Auch der GLP-Landrat Yves Krebs plädierte in der Landratssitzung «für einen Marschhalt», wie es im Protokoll heisst. Und weiter: «Er hat seine Meinung aufgrund von mehreren Rückmeldungen von jüdischen Quellen gebildet, die ihm ganz klar berichtet haben, dass man betreffend Friedensforschung relativ naiv sei und islamistischen Stimmen eine grosse Plattform gebe.» 

FDP-Landrat Marc Schinzel bestätigt gegenüber tachles, dass er wie auch andere Landräte von jüdischen Personen im Vorfeld der Abstimmung kontaktiert worden seien. Es seien aber auch Stimmen aus dem Umfeld der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft beider Basel laut geworden, deren Vorstand er ist. Schinzel, der sich nach eigenen Aussagen schon lange mit dem Nahostkonflikt beschäftigt, nennt keine Namen, spricht aber von «ernst zu nehmenden Bedenken».

Jüdische Bauchredner
Alfred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel, äussert Bedenken: «Ich finde es problematisch, in einem Landratsprotokoll und später den Medien wiederzufinden, dass ‚jüdische Personen‘ interveniert haben. Dies führt wieder zu Rückschlüssen über Juden, die im Hintergrund die Strippen ziehen, während ja das Kontaktieren von Politikern als Mittel der Einflussnahme durch Bürgerinnen und Bürger und vor allem auch durch mächtige Lobbygruppen Alltag ist, ohne dass dies überhaupt erwähnt oder die Identität dieser Gruppen oder Personen genannt wird.» 

Auch der Historiker Jacques Picard, zeigt sich verwundert darüber, dass die beiden Baselbieter Landräte sich auf jüdische Zuträger berufen, die anonym bleiben und von denen damit nicht bekannt ist, ob sie tatsächlich existieren oder nicht: «Damit wird dem Bild einer ‚jüdischen’ Verschwörung Vorschub geleistet, welches man andernorts gewiss kritisieren würde.» Zu einem professionellen politischen Handwerk gehöre vielmehr, dass mit einem gemeinsamen Auftritt der beiden Landräte und ihrer jüdischen Akteure entsprechend Transparenz geschaffen und das Versteckspiel der protokollierten Anonymität aufgehoben würde. «Im Weiteren ist es dann, was die Folgen betrifft, nunmehr Sache des Basler Universitätsrates sowie des Stiftungsrates von Swisspeace und nicht Sache jüdischer Bauchredner, Klärung zu schaffen, Antworten zu geben und die notwendigen Schlüsse zu ziehen.»

Kein schönes Politikum
Friedensaktivist Jochi Weil-Goldstein sieht diese Form der Einflussnahme auch kritisch, aber aus anderen Gründen: «Es gibt glaubwürdige Anzeichen dafür, dass der Entscheid des Landrats im Kanton Baselland, die Friedensarbeit von Swisspeace abzulehnen, nicht mit Sachargumenten zusammenhängt, sondern mit politischem Kalkül.» Rationale Einschätzungen der nahöstlichen Tragödie würden so erschwert oder gar behindert, weil «ein hoch qualifiziertes Team bei Swisspeace differenzierend gegen polarisierende Simplifizierungen arbeitet. Das ist ein Politikum, allerdings kein schönes.» 

Andersdenkende zum Schweigen bringen
Adina Rom, Entwicklungsökonomin an der ETH, gibt zu Bedenken: «Es gibt in Israel wie auch unter uns Juden und Jüdinnen hier in der Schweiz viele verschiedene Meinungen dazu, wie eine friedliche Lösung des Konflikts aussehen könnte und welche Rolle die Schweiz dabei spielen soll. Es ist daher wichtig, dass niemand im Namen aller jüdischen Menschen in der Schweiz spricht oder versucht andersdenkende Jüdinnen und Juden mit Vorwürfen der Israelfeindlichkeit oder des Antisemitismus zum Schweigen zu bringen.» Dasselbe gelte aus ihrer Sicht auch für nicht jüdische Personen, welche legitime Kritik an der israelischen Politik äussern.

«Die Rolle der Politik ist es, den Spielraum für eine offene Debatte und für wissenschaftliche Forschung zu gewährleisten» sagt sie. «Es macht mich traurig, dass die israelische Politik anscheinend nun auch dazu führt, dass jüdische Menschen in der Diaspora gegeneinander hetzen.» Dabei sei doch gerade die Kritik der eigenen Führung etwas Urjüdisches. 

Alfred Bodenheimer sieht aufgrund des Landratsentscheids auch die Freiheit der Forschung beschnitten. Er sagt: «Ungeachtet meiner eigenen Einschätzungen der Situation im Nahen Osten und der Positionen von Laurent Goetschel, geraten wir in ein hochgefährliches Fahrwasser, wenn politische Aussagen einzelner Personen, die vielleicht kontrovers, aber nicht konspirativ, menschenverachtend oder gewaltlegitimierend sind, zu so drastischen politischen Schritten führen.» Damit werde faktisch die Freiheit der Forschung, auch unpopuläre oder umstrittene Meinungen zu vertreten, beschnitten. «Mit einer seriösen Evaluation der Arbeit von Swisspeace, wie sie einem Parlament ansteht, das über das Vergeben von Geldern an Institutionen entscheidet, hat dieser Beschluss nichts zu tun.»

Antidemokratisch und gefährlich
Auch Adina Rom findet diesen Entscheid sowohl als Jüdin wie auch als Wissenschaftlerin und als Schweizer Bürgerin problematisch: «Als Jüdin frage ich mich, wie es sein kann, dass wir Jüdinnen und Juden nur dann unsere Meinung äussern dürfen, wenn sie den Autoritäten genehm sind? Kann uns sonst, wie bei Laurent Goetschel, die Unterstützung abgesprochen werden? Gibt es denn in deren Augen nun ‹gute› und ‹schlechte› Juden, und die einen soll man schützen und die anderen möglichst zum Schweigen bringen?» Als Wissenschaftlerin und Schweizer Bürgerin macht sie sich Sorgen um die wissenschaftliche Freiheit und die Meinungsäusserungsfreiheit. «Es ist wichtig, dass Forschende zu Schlussfolgerungen kommen können, die der Politik nicht passen, ohne dass sie sich um ihre Finanzierung fürchten müssen. Alles andere scheint mir anti-demokratisch und gefährlich.» Adina Rom verweist auf eine kürzliche Umfrage des National Public Radio mit über 900 Nahost-Forschenden aus den Vereinigten Staaten: Sie hat gezeigt, dass sich über 65 Prozent der Forschenden nicht trauen, die israelische Politik öffentlich zu kritisieren oder sich dabei selbst zensurieren. Das sei nicht nur für die Forschungsfreiheit, sondern auch für die Diskussionskultur und die Meinungsbildung in einer Demokratie sehr besorgniserregend, so Rom. Sie verweist auf einen Artikel von Rabbiner Bernie Steinberg, ehemaliger Leiter des Hillel-Hauses an der Harvard-Universität. Darin erklärt er unter anderem, wie wichtig es ist, legitime Kritik an der israelischen Regierung und Solidarität mit Palästinenserinnen und Palästinensern ernst zu nehmen und nicht mit Antisemitismusvorwürfen pauschal zum Schweigen zu bringen.

Den Hass überwinden
Die Entscheidung des Basler Landrats beunruhigt die Jüdinnen und Juden, die mit tachles sprechen, in zweierlei Hinsicht: Zum einen sehen sie darin einen Angriff auf die Meinungs- und Forschungsfreiheit. Zum anderen äussern sie Sorge davor, dass der Krieg im Nahen Osten nun in die Schweiz importiert werde. Eine Jüdin aus Zürich, die namentlich nicht genannt werden möchte, sagt, sie habe Angst davor, sich als Jüdin in der Schweiz nicht mehr in der Öffentlichkeit kritisch gegenüber der israelischen Politik äussern zu können. «Es ist höchst beunruhigend, wenn Juden in der Schweiz andere Juden brandmarken und ausschliessen, nur weil weil diese nicht bedingungslos hinter der israelischen Politik stehen. Es kann nicht sein, dass Juden gegen Juden hetzen.» Aus Sicht von Jochi Weil erschwert der Entscheid des Baselbieter Landrats die zentrale und fundierte Friedensarbeit der wichtigen Organisation Swisspeace und ist sehr kurzfristig gedacht. Er fragt: «Wohin führt die bedingungslose Unterstützung von Israel und von Palästina? Wohin führen die Polarisierungen landauf und landab in dieser entsetzlichen nahöstlichen Tragödie für beide Bevölkerungen dort? Wäre es denn gerade jetzt von zentraler Bedeutung den Brückleinbau zwischen fortschrittlich gesinnten Jüdinnen, Juden, Palästinensern und anderen Menschen, die mit Empathie an der Überwindung des Hasses engagiert sind, zu unterstützen?» Die Würfel in Baselland sind gefallen. Die Debatte nicht nur innerhalb der jüdischen Gemeinschaft aber ist noch lange nicht beendet. 

Der Artikel ist am 3. Januar 2024 auf tachles-online erschienen.