Valerie Wendenburg

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Klima des Misstrauens

Dieser Artikel ist am 17. Mai 2024 in tachles erschienen.

Die Gesellschaft Schweiz-Israel möchte «gegnerische Akteure» systematisch beobachten und steht dafür in der Kritik der Öffentlichkeit.

Foto: Pixabay

 

Die Gesellschaft Schweiz-Israel (GSI) hat sich Anfang des Monats mit einem Schreiben unter dem Betreff «Wir brauchen Ihre Hilfe!» an ihre Mitglieder gewandt. Darin wird beschrieben, dass die Organisation zwei «betrübliche Erkenntnisse» gewonnen habe: Zum einen gebe es in der Schweiz viel mehr Organisationen, die Solidarität mit Palästina zum Zweck hätten, als der GSI bisher bekannt gewesen seien. Zum anderen habe die «sogenannte Solidarität» oft «einen antisemitischen Einschlag». Die GSI schreibt, sie habe einige der Organisationen schon länger «auf dem Radar», brauche aber Unterstützung. Sie wolle «das gegnerische Lager» von nun an «systematisch beobachten» – denn seit dem 7. Oktober 2023 sei die Zahl von propalästinensischen Akteuren in der Schweiz stark angestiegen.

«Es ist nicht neu, dass wir Institutionen und Organisationen, die für Palästina eintreten, beobachten.»

Die GSI sucht daher Personen, die Interesse daran haben, einige oder mehrere der «gegnerischen Akteure» gegen ein Entgelt «systematisch zu monitoren». Vor allem im Internet und auf Social Media. Es folgt eine detaillierte Aufzählung derjenigen Institutionen, die die GSI auf dem Radar hat. Die Liste ist lang, sie umfasst Medien, Hilfswerke, Theater, Kirchen, Thinktanks und auch Teile der Bundesverwaltung wie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten und das Eidgenössische Departement des Innern, der Schweizerische Nationalfonds oder die Uno.Walter Blum, Zentralsekretär der GSI, sagt gegenüber tachles: «Es ist nicht neu, dass wir Institutionen und Organisationen, die für Palästina eintreten, beobachten. Aber seit dem 7. Oktober sind wir von der GSI im Sekretariat aufgrund der enorm steigenden Zahl von propalästinensischen Bewegungen nicht mehr in der Lage, diese Aufgabe alleine zu stemmen.» Daher habe er die Mitglieder um Unterstützung gebeten. Das Schreiben sei innerhalb der GSI in grossen Teilen auf positive Resonanz gestossen, es hätten sich auch schon einige Personen gemeldet, die unterstützen möchten.

Zeichen der Verängstigung
Es gibt aber auch Kritiker wie GSI-Mitglied Samuel Rom, der zu tachles sagt: «Ich sehe diese Aktion als ein Zeichen der Verängstigung innerhalb der GSI.» Für ihn sei es aber das falsche Zeichen, gewisse Akteure in Gut und Böse einzuteilen. Denn viele der aufgelisteten Organisationen seien an einem Austausch sehr interessiert: «Wäre es nicht der bessere Weg, aufeinander zuzugehen, miteinander zu reden, sich zuzuhören und das Gemeinsame und nicht das Trennende zu suchen?» Rom wünscht sich «Dialog anstatt Überwachung». Der Brief der GSI bereite ihm grosse Sorge, denn er fördere ein Klima des Misstrauens und der Distanz voneinander. «Dabei ist doch Austausch angesagt, gerade in herausfordernden Zeiten wie diesen.» Walter Blum hingegen sagt: «Wir wollen wissen, wer sich gegen Israel positioniert.» Anschliessend werde die GSI mit diesen Akteuren das Gespräch suchen: «So haben wir es auch schon in der Vergangenheit gemacht.» Die Vorgehensweise sei also alles andere als neu, die GSI brauche aufgrund der aktuellen Situation allerdings Unterstützung.

«Legitimes Vorgehen»
Daher sieht Walter Blum auch keinen Grund, etwas an dem Vorgehen zu ändern. Trotz der öffentlichen Kritik auch in Schweizer Medien laufe die Aktion, die im «Tages-Anzeiger» mit dem Fichenskandal verglichen wird, also weiter wie geplant. Dem Vergleich widerspricht Blum vehement. Er sagt: «Wir überwachen keine Personen und Institutionen, sondern wir beobachten. Das ist ein grosser Unterschied. Vielleicht würde ich den Brief heute etwas anders formulieren», räumt er ein. Blum hält aber an dem Vorgehen fest, das aus seiner Sicht völlig legitim sei.Mit diesem Vorgehen riskiere die GSI ihre Reputation, so Samuel Rom. Er fügt an: «Ich sehe zudem die Gefahr, dass man Menschen in den aufgelisteten Institutionen in einen Topf wirft.» Der Aufruf, Menschen und In-stitutionen zu monitoren, passt nicht zu den Worten, die auf der Website der GSI zu lesen sind, dort heisst es: «Seit 1957 engagieren sich Schweizerinnen und Schweizer in der Gesellschaft Schweiz-Israel für gute bilaterale Beziehungen, für Dialog, Respekt, Verständnis und Freundschaft zwischen beiden Ländern.» So möchte die Zentralpräsidentin der GSI, Corina Eichenberger-Walther, auch gegenüber tachles keine Stellung zu der Aktion beziehen.

«Das Misstrauen nicht nur innerhalb der Zivilgesellschaft, sondern auch gegenüber eidgenössischen Institutionen ist offenbar gross.»

Die Verantwortung liegt bei Walter Blum, der am Dienstag nach Erscheinen des Artikels im «Tages-Anzeiger» erneut an die GSI-Mitglieder gelangt ist und an dem Vorgehen festhält. Es heisst, die GSI bemühe sich, «eine Taskforce aufzubauen, um informiert zu sein, wer, welche Institutionen und Organisationen (fast jeden Tag erscheinen neue) gegenwärtig für Palästina Position beziehen.» Diese Taskforce zeigt auf, wie gross die Sorge auf israelischer Seite vor Antisemitismus und Kritik an Israel ist. Sie zeigt aber auch, wie tief die Kluft zwischen den verschiedenen Akteuren mittlerweile ist. Das Misstrauen nicht nur innerhalb der Zivilgesellschaft, sondern auch gegenüber eidgenössischen Institutionen ist offenbar gross. Der aktuell lancierte «Hilferuf» hilft wohl kaum, die Gräben, die sich aufgetan haben, zu überwinden. Im Gegenteil. Er wird viel eher zu einer Spaltung führen, weiteres Misstrauen auf beiden Seiten schüren und den Dialog erschweren.